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Der kleine Koenig von Bombay

Der kleine Koenig von Bombay

Titel: Der kleine Koenig von Bombay
Autoren: Chandrahas Choudhury
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gibt es also bald eine Hochzeit!«, sagte Hari. »Die Geschichte endet mit einer Hochzeit. Ich werde ein Lied für diesen besonderen Anlass komponieren, Arzee. Ein tolles Lied. Seid mal alle still … Ich höre es schon.«
    »Deine neuen Lieder kenn ich – bleib lieber bei den alten.« Arzee lachte gackernd. »Und jetzt, Freunde, mache ich mich auf die Socken. Wenn ihr morgen wieder spielen wollt, ruft mich an. Und denkt dran, je früher die Warnung kommt, desto besser.«
    »Arzee …«
    »Ja?«
    »Könntest du mir vielleicht fünfzig Rupien leihen? Bald schwimmst du ja im Geld.«
    »Wer sagt denn das?« Arzee zögerte. »Fünfzig? Muss mal gucken. Hab ich überhaupt mein Portemonnaie dabei? Ja, hab ich. Aber ich glaube, ich habe nur einen Fünfhunderter einstecken und ein oder zwei Zehner … Frag doch Hari oderunseren Freund hier.« Doch Shinde wandte den Blick nicht von ihm ab. »Tja, ich hab tatsächlich einen Fünfziger, aber den brauche ich selbst, denn einen Fünfhunderter kann mir ja kein Mensch wechseln.« Doch Shinde wandte den Blick nicht von ihm ab. »Deshalb … Also gut, hier. Aber vergiss nicht, es mir morgen zurückzuzahlen. Das Geld wächst nicht auf den Bäumen.«
    »Ich zahl es dir sofort zurück«, sagte Shinde. »Hier hast du deinen Fünfziger.«
    »Was soll denn dieser Quatsch?«, fragte Arzee, aber er sah schon, was das sollte. Shinde wälzte sich auf dem Boden und hielt sich den Bauch.
    »Hahaha – ich wollte doch mal sehen, ob unser knauseriger Freund durch sein neues Glück zu einem anderen Menschen geworden ist«, sagte er. »Aber Geizkragen bleibt Geizkragen. Hab ich euch schon erzählt, dass er mir in der sechsten Klasse mal eine Samosa gekauft hat, weil ich mein Geld fürs Mittagessen vergessen hatte? Das hat er mir so lange immer wieder vorgehalten, bis ich ihm in der Achten schließlich auch eine gekauft habe. Hahaha.«
    »Du bist ein Mistkerl und ein Hurensohn, nur dass du’s weißt«, sagte Arzee. »Leih mir doch selbst einen Fünfziger, wenn du so großzügig bist. Du wirst kein Auge zutun, bis du ihn wiederhast, ich kenn dich doch.«
    Er steckte sein Portemonnaie wieder ein und versuchte hochmütig dreinzuschauen. »Also … wenn ihr jetzt fertig seid mit euren Witzen, mach ich mich auf den Weg.«
    »Ich habe heute Morgen Ranades Geist im Korridor gesehen«, sagte Hari. »Erschrick nicht, wenn du ihm begegnest.«
    »Warum sollte ich? Der lässt mich in Ruhe, schließlich kannte ich ihn gar nicht«, erwiderte Arzee.
    Er verknotete einen entwischten Schnürsenkel, klappte den Kragen hoch und verabschiedete sich fröhlich winkend, mit den Gedanken bei Ranade.

    Wenn es jemals einen Menschen gegeben hatte, der diese Welt so liebte, dass ihn nicht einmal der Tod von seinem Alltag und dem unerledigten Geschäft des Lebens loszueisen vermochte, dann war es Ranade, der Börsenmakler, der ein Stockwerk unter Shinde gewohnt hatte –
wohnte
. Ranade, der Junggeselle gewesen war, hatte zwei Jahre zuvor einen Schlaganfall erlitten und sein Leben ausgehaucht. Aber anscheinend hatte er es eiligst wieder eingehaucht, denn binnen einer Woche nach seinem, wie man geglaubt hatte, endgültigen und unwiderruflichen Abtritt war er wieder in seinem Korridor im ersten Stock zugange – und zwar nicht etwa verstohlen im Dunkel der Nacht, sondern ganz nonchalant mitten am helllichten Tag. Die Hand vor den Lippen, sog er die Luft ein und blies sie wieder aus, als rauchte er eine Zigarette, so wie er es als Lebender oft in seinen Arbeitspausen getan hatte. Einmal hatte sogar jemand, nicht wissend, mit wem er da sprach, zehn Minuten lang mit ihm geplaudert und den Rat erhalten, Larsen & Toubro nicht abzustoßen, India Cements hingegen zu verkaufen. Ranades ganzer Besitz war weggeschafft worden, doch nachts hörte Shinde von unten das vertraute Klackern einer Tastatur und das Schaben des Löffels, mit dem Ranade sein einsames Abendessen zu sich nahm. Da es in dem Zimmer eindeutig spukte, fand sich kein Mieter mehr dafür. Also blieb Ranade, wo er war, und es schien, als wäre er nie fort gewesen. Aus Neugier legte Shinde eines Abends ein Päckchen Zigaretten vor Ranades Tür, und am nächsten Morgen war es weg! Geister waren gar nicht so immateriell und körperlos,wie man gemeinhin dachte, es verlangte sie unverkennbar nach den guten Dingen diesen Lebens. Vielleicht gab es ja in der Stadt noch viele andere wie Ranade. Nachdem jetzt klar war, dass einer wie er existierte, lag die Annahme nahe, dass es noch
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