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Der kleine Koenig von Bombay

Der kleine Koenig von Bombay

Titel: Der kleine Koenig von Bombay
Autoren: Chandrahas Choudhury
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Mannes wohl irgendwann der Moment kam, wo er erkannte, dass er am Ende seines Weges angelangt war: Er musste nicht mehr weitergehen, vielmehr würde sein Leben, nun da er dieFüße hochlegen und an die alten Zeiten denken konnte, an all die verstorbenen Menschen, die ihn einst auf Trab gehalten hatten, gleichsam rückwärts ablaufen.
    Und so hatte Phirozbhai, der zu einer Zeit im Showbusiness begonnen hatte, als sein Haar noch dicht und dunkel war, die Filme nur aus Schwarz-, Grau- und Weißtönen bestanden und die Heldinnen noch sittsam und züchtig waren, beschlossen, von diesem zerfallenden, aber immer noch erhabenen Reich freiwillig Abschied zu nehmen. Es war kaum vorstellbar, dass man Phiroz’ untersetzte, gebeugte Gestalt mit der Jutetasche über der Schulter, die Lippen etwas murmelnd, was nur die eigenen Ohren hörten, nicht mehr tagtäglich zu den gleichen Zeiten das Kino würde betreten und verlassen sehen – kaum vorstellbar, dass man diesen länglichen professoralen Schädel, kahl bis auf zwei kammgroße Haarstreifen über den Ohren, nicht mehr aus dem Fenster im obersten Stockwerk würde ragen sehen, wenn Phiroz zwischen zwei Filmrollen nach der Farbe des Himmels schaute oder den Tauben, die auf dem Fensterbrett herumhüpften und -trippelten, Körner hinwarf. Aber so war es, so würde es sein. Jetzt brach Arzees Zeitalter an. Natürlich konnte Phiroz, wann immer er mochte, zu Besuch kommen. Wann – immer – er – mochte.
    Shinde hieb Arzee mehrmals auf den Rücken, so heftig, dass ihm die Zigarette aus dem Mund flog, und brüllte: »Jetzt bist du ganz oben, Arzoo! Auf dem Höhepunkt! Sag mir, wie sich das anfühlt, sag es mir! Fühlt es sich gut an? So richtig gut?« Er zappelte lüstern.
    Arzee hasste es, Arzoo genannt zu werden, denn so rief ihn seine Mutter, doch in diesem Moment war er so beschwingt, dass er nicht protestierte.
    »Aber wieso eigentlich?«, fragte Hari, der wie Shinde allesüber Phiroz wusste, ohne ihm je begegnet zu sein. »Wieso räumt der alte Parse plötzlich das Feld?«
    »Kann sein, dass ich selbst dazu beigetragen habe«, sagte Arzee lachend. »Ich treibe in letzter Zeit meine Spielchen mit dem alten Phiroz. Ich sage ihm, dass ich nichts mehr finde, dass die Filmrollen nicht mehr in der richtigen Reihenfolge im Schrank stehen. Wobei Phiroz eh schon jenseits von Gut und Böse ist und man ohne Spielchen gar nicht mehr mit ihm umgehen kann. Wenn ich ihn ein, zwei Minuten lang beobachte, muss ich mir mit den Händen vor den Augen herumfuchteln, damit sie nicht mehr in Zeitlupe gucken. Und er braucht ungefähr eine Filmrolle lang, um die letzte Treppe zum Vorführraum hochzukommen. Irgendwann demnächst wird er noch zur Statue erstarren. Schnelligkeit – das ist es, was wir im Noor brauchen!«, krähte er. »Nicht Schwerfälligkeit und Schläfrigkeit. Das Problem ist, dass Phiroz eine Tochter hat, die noch nicht verheiratet ist. Deshalb hat er all die Jahre weitergemacht. Aber gestern habe ich erfahren, dass er zum Geschäftsführer gegangen ist und seine Kündigung eingereicht hat.«
    »Warum heiratest du denn nicht seine Tochter, Arzee? Dann erbst du alles, was er hat.«
    »Ich? Ganz bestimmt nicht. Die ist garantiert hässlich wie die Nacht, sonst hätte ihr Vater sie ja nicht mehr am Hals«, sagte Arzee. Aber der Pfeil hatte ins Schwarze getroffen, und während er noch sprach, verfinsterte sich sein Gesicht, und er fügte hinzu:
    »Übrigens kann es gut sein, dass ich in ein paar Monaten auch heirate. Mutter schaut sich gerade einen Heiratsantrag an. Ein Mädchen aus Nasik.«
    Kaum hatte Arzee diese Sätze gesagt, die wiederum mitJubel und Pfiffen aufgenommen wurden, wünschte er sich, er hätte seine Zunge im Zaum gehalten. Aber nun war es zu spät. Er hatte sich von seinem guten Gefühl mitreißen lassen und es gesagt! Für ihn mit seinen achtundzwanzig Jahren war das Heiraten mittlerweile ein heikles Thema, und wann immer es zur Sprache kam, begann er wie auf Knopfdruck zu reden. Er wollte so gern heiraten und beweisen, dass er war wie alle anderen. Wollte all die Dinge in seinem Leben haben, die ihn zu einem größeren, einem selbstbewussteren Menschen machen würden. Die Leute sollten nicht über ihn kichern und feixen – weder offen noch hinter vorgehaltener Hand. Er würde den Spieß umdrehen. Richtig leiden sollten sie für alles, was er durchgemacht hatte. Dafür würde er schon sorgen, je mehr seine Kräfte wuchsen. Wer zuletzt lacht, lacht am besten!
    »Dann
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