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Der Klang der Sehnsucht - Roman

Der Klang der Sehnsucht - Roman

Titel: Der Klang der Sehnsucht - Roman
Autoren: Insel Verlag
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war jedoch nie wiedergekommen. Es kam ihr vor, als sei diese Entscheidung vor langer Zeit getroffen worden, von einer Frau, die ganz anders war als sie jetzt.
    Sie fragte sich, wer die Frau war, die den grünen Sari tragen würde. Wovon sie wohl träumte? Malti wünschte dieser Frau alles Glück der Welt.
    Je größer das Baby wurde, desto ruhiger wurde Malti. Sie las die Unterlagen, die Ganga Ba ihr für die Schule in Adalaj gab, wo man Frauen wie sie und andere unverheiratete Mütter zu Lehrerinnen ausbildete und ihnen anschließend half, eine Stelle zu finden. Von ihrem Gesparten konnte sie diese Ausbildung gerade so bezahlen.
    Adalaj lag auch näher an ihrem Heimatdorf. Als ihre Eltern davon erfuhren, bot ihre Mutter an, sich um das Baby zu kümmern, solange Malti zur Schule ging. Dann könnte sie zu Hause wohnen und jeden Tag nach Adalaj fahren. Malti lehnte den Kopf an die Scheibe der Telefonzelle, als Raja ihr davon erzählte. Jetzt war nicht die Zeit für Tränen. Sie würde ihnen das nie vergelten können.
    In dieser Nacht, als ihr Baby wieder strampelte, lächelte sie.
Swapana würde sie die Kleine nennen. Das Kind ihrer Träume, ihres Herzens und ihres Körpers. Sie würde keine Furcht kennen, wenn es darum ging, es zu beschützen. Und furchtlos musste sie sein.
    *
    Er beobachtete sie noch immer, der Mann, der einst ihr Ehemann gewesen war. Häufig folgte er ihr auf ihrem Weg von Ganga Bas Haus zu dem Schneider, wo sie ihre Näharbeiten abholte. Auf dem Rückweg war es das Gleiche. Er wartete am Banyanbaum und folgte ihr bis zum Haus. Immer in etwa hundert Schritten Entfernung. Immer mit Absicht. Nur auf Malti konzentriert.
    Obwohl sie auf der anderen Seite der Stadt lebte, machte er sie immer wieder ausfindig. Sie ging mit hoch erhobenem Kopf und achtete darauf, nur belebte Straßen zu benutzen. Nie nahm sie die Abkürzung am Fluss entlang. Das war zu gefährlich. Ihre Schwangerschaft machte sie schwerfällig und unsicher. Ihre Zeit in Hastinapore ging ohnehin dem Ende zu. Es wäre auch zu gefährlich, in seiner Reichweite zu bleiben. Bald, sehr bald, würde sie ein neues Leben anfangen.
    *
    Kalu saß im Hof eines alten buddhistischen Tempels in Tokyo und sog den Duft der Kirschblüten und Räucherstäbchen ein. Zarte Blüten wie diese hätten im heißen Klima seiner Heimat nie überlebt.
    Während seines Aufenthalts in Japan lernte er viele Lieder über die hübschen Blüten und verliebte sich in die Haiku, die seine Freunde ihm beibrachten.
    Kalu überquerte die Jingu-Brücke, die als Treffpunkt phantasievoll kostümierter Teenager berühmt ist. Er bemühte sich, die jungen Leute mit ihren Porzellangesichtern und der Kleidung wie aus alten Schauerromanen nicht allzu sehr anzustarren.
Sie wirkten fast wie Puppen. Dennoch schienen sie voller Energie, hatten etwas Mitreißendes, Überschäumendes.
    Er war um eine Ecke gebogen und an diesen wunderschönen kleinen Tempel gelangt. Er fragte sich, wie es dem Guruji wohl in Japan gefallen hatte, als er das erste Mal hier spielte. Damals war wahrscheinlich vieles ganz anders gewesen, weil das Land noch unter den Nachwirkungen des Krieges litt.
    In Japan waren die Menschen klein und die Städte überfüllt, genau wie in Indien. Aber hier war alles so sauber und ordentlich. Er konnte den Guruji förmlich hören: »Man sollte meinen, ein so großes Land wie Indien müsste eine funktionierende Kanalisation zuwege bringen.«
    Er lächelte bei diesem Gedanken. Und als er daran dachte, dass ein Junge wie er plötzlich Orte wie diesen besuchen konnte, musste er lachen. Selbst in Japan gab es Menschen, die ihn spielen hören wollten. Er versuchte sich vorzustellen, wie sein Leben verlaufen wäre, wenn er damals vor vielen Jahren nicht dem Vaid begegnet wäre. Das konnte er sich ebenso wenig ausmalen wie das, was er morgen oder in den nächsten Monaten erleben würde. Er war bereits seit fünf Monaten unterwegs. Er erinnerte sich noch an den Tag seiner Abreise. Die Augen des Guruji verrieten seine starke Regung, dennoch hatte er nie versucht, ihn zurückzuhalten. Stattdessen hatte er ihm das Versprechen abgenommen, mit ihm und Martin in Verbindung zu bleiben.
    Der Guruji hatte ihn ermahnt, seine erste Prüfung nicht zu vergessen – den Raga Desh zu finden, – und Kalu war bewusst geworden, dass er gar nicht mehr an diesen Raga, den Raga seiner Heimat, gedacht hatte. Wie vieles hatte er diesen Moment des Scheiterns rasch und entschlossen verdrängt. Eine kleine Blüte
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