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Der Klang der Sehnsucht - Roman

Der Klang der Sehnsucht - Roman

Titel: Der Klang der Sehnsucht - Roman
Autoren: Insel Verlag
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Freund bist, anstatt sie zu strafen, weil sie nicht tut, was du sagst. Malti hat, vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben, entschieden, das zu tun, was sie für das Richtige hält. Gönne ihr diese Freiheit.«
    Der Vaid hatte recht. Aber deshalb fühlte Kalu sich nicht besser.
Der Mann setzte sich neben ihn und nahm ihn in den Arm. Drückte ihn, wie er es gern getan hätte, als Kalu klein war. »Malti hat mich gebeten, dir zu sagen, dass sie dich braucht. Sie fragt, ob du sie vielleicht nach Hastinapore zurückbringen könntest. Ich würde euch natürlich begleiten. Es gibt schon genug Gerede über sie.«
    Kalu sah in die Nacht hinaus. »Ich glaube, das kann ich tun. Und dann, Dada, … wird es wohl Zeit, dass auch ich gehe.«
    Der Vaid schwieg, als hätte er erkannt, dass nichts Kalu von seinem Entschluss abbringen würde.
    *
    Der Guruji holte Kalu unten im Dorf am Fuß des Hügels ab, und die beiden gingen zusammen zum Haus hinauf. Er wollte mit seinem Schüler sprechen, bevor Ashwin davon erfuhr, dass Kalu fortgehen würde.
    Kalu war zu einem jungen Mann herangewachsen und überragte nun seinen Lehrer. Der Guruji erkannte, dass er alt wurde, und verspürte eine gewisse Reue. Durch sein zurückgezogenes Leben hatte er vieles versäumt. Andererseits wäre er sonst Kalu nie begegnet. Und Kalu war das größte Geschenk von allen. Sie nahmen den längeren Weg, der um das Dorf herumführte. Der schmale Pfad war gerade breit genug für sie beide.
    »Es liegt nicht daran, dass ich nicht zu schätzen wüsste, was du mir gegeben hast …«, begann Kalu. Unwillkürlich duzte er den Guruji.
    »Das weiß ich«, unterbrach ihn dieser. »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, mein Sohn. Es ist etwas Gutes, seinen eigenen Weg zu gehen, aber vergiss uns nicht.«
    Kalu sah den Mann an, der so viel mehr für ihn war als nur sein Lehrer. »Ich könnte euch nie vergessen.«
    »Das will ich auch hoffen!« Der Guruji warf Kalu einen strengen Blick zu. »Und bilde dir nicht ein, du könntest gehen, ohne mir zu versprechen, Verbindung mit uns zu halten. Ich erwar
te, dass du mir berichtest, was du tust und wo du bist, junger Mann.«
    »Natürlich.« Kalu zögerte. »Aber ich möchte eine Weile fortbleiben. Ich muss allein sein.«
    Sie waren nun fast am Tor, und Kalu erinnerte sich an seine Angst und seine Erwartungen, als er sich diesem Tor das erste Mal genähert hatte.
    »Na gut«, sagte der Guruji. »Es gefällt mir nicht, und ich will es nicht, aber«, er sprach nun wie zu einem Erwachsenen, »ich verstehe dich.«
    Kapitel 15
    Malti spürte, wie das Baby sich bewegte. Sie hatte einen langen Streifen Stoff an den Saum eines Saris genäht. Sie verdiente nicht viel Geld mit ihren Näharbeiten, aber es gehörte alles ihr und dem Baby. Der weiche, grüne Baumwollstoff passte zur Farbe des seidenen Saris und sollte seinen empfindlichen Rand vor Straßenschmutz schützen. Alle Saris brauchten diesen unsichtbaren Baumwollsaum, und Malti musste ihn nur annähen. Je mehr sie nähte, desto mehr verdiente sie.
    Das Baby trat ihr in die Rippen und schuf sich seinen eigenen, separaten Raum. Sie lächelte. Ihr Kind würde stark sein, und es – nein, sie , berichtigte Malti – würde ihr gehören. Ihr allein. Das hätte ihr Sorge bereiten müssen, aber das tat es nicht.
    Sie wollte, dass das Kind weiterstrampelte, Kraft aus ihrem Körper zog. Sie genoss seine Lebhaftigkeit, auch wenn sie davon einen Krampf im Rücken bekam.
    Ihre Schwiegereltern hatten versucht, die Scheidung zu verhindern und das Sorgerecht für das Kind zu bekommen, aber es war ihnen nicht gelungen. Es war Maltis Vorteil, dass ihr Mann kein Interesse an dem Ungeborenen hatte. Die Sache kam nicht
einmal bis vor Gericht. Ganga Ba hatte zu viele gute Beziehungen, und ihre Freundinnen hatten sich Maltis Sache mit Leidenschaft verschrieben.
    »Malti ist in der Lage, selbst für ihr Kind zu sorgen. Schließlich habe ich ihr alles beigebracht, was sie wissen muss.« Ganga Ba wedelte mit den Händen und wirkte jugendlicher als seit langem.
    Der Vaid schaut nach Malti, sooft er in Hastinapore war. Sie telefonierte regelmäßig mit Kalu oder schrieb ihm. Einmal in der Woche sprach sie mit ihrem Bruder und erkundigte sich nach der Familie. Und wenn sie eines der Lieder im Radio hörte, die Anand gern gesungen hatte, fragte sie sich flüchtig, was wohl geschehen wäre, wenn er von dem Kind erfahren hätte. Sich von Anand zu trennen war das Richtige gewesen. Er war außer sich gewesen,
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