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Der Kirschbluetenmord

Der Kirschbluetenmord

Titel: Der Kirschbluetenmord
Autoren: Laura Joh Rowland
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deutlich zeigten. Ein Niemand. Yukiko hingegen war die Tochter von Niu Masamune, Fürst der Provinzen Satsuma und Ōōsumi, eines der reichsten und mächtigsten Daimyō.
    »Wie ich sehe, schätzt Ihr die Brisanz dieser Sache richtig ein«, sagte Ogyū. »Da die Todesursache offensichtlich ist, werdet Ihr diese Angelegenheit so rasch und unauffällig wie möglich erledigen. Ihr sorgt dafür, daß Niu Yukikos Leichnam ihrer Familie übergeben wird. Und sagt Euren Untergebenen, daß jeder, der Yukikos Namen oder die Umstände ihres Todes in der Öffentlichkeit erwähnt, aufs schwerste bestraft wird.«
    »Der Mann hingegen, dieser Noriyoshi …« Ogyū nahm einen Schreibpinsel und tauchte ihn ins Tuschefaß. »Noriyoshi soll die schlimmste Strafe erleiden, die nach den Gesetzen dieses Landes verhängt werden kann. Das ist alles, yoriki Sano.«
    In Sanos Innerem kämpften widersprüchliche Gefühle. Ogyū verlangte von ihm, den Fall ohne weitere Nachforschungen abzuschließen. Zum einen, um Yukikos Identität geheimzuhalten; zum anderen, um Schande über Noriyoshis Familie zu bringen, indem man seinen Leichnam öffentlich zur Schau stellte – die übliche Vorgehensweise bei einem Selbstmord aus Liebe. Doch Ogyū hatte den Befehl, Diskretion zu wahren, dermaßen betont, daß es Sanos Argwohn erregte. Sein Instinkt sagte ihm, daß er der Wahrheit über diesen shinjū auf den Grund gehen müsse. Doch er hatte den Eid abgelegt, sich stets korrekt zu verhalten und der Gehorsamspflicht nachzukommen.
    »Jawohl, ehrenwerter Magistrat«, sagte er und verbeugte sich. »Ich gehorche.«
     
    Die Polizeizentrale befand sich im südwestlichen Teil des Verwaltungsviertels, fernab von den Amtsvillen und in größtmöglicher Entfernung vom Palast; denn nach den Glaubensregeln der Shintō-Religion bedeutete jeder Kontakt mit dem Tod eine rituelle Unreinheit, eine spirituelle Beschmutzung. Allein die Tatsache, daß die Polizei mittelbar für die Hinrichtungen zuständig war, schreckte andere Beamte von dem Gebäude ab.
    Die Isolation der Polizeizentrale spiegelte sich auch in ihrem Erscheinungsbild wider: Sie war von einer hohen, geschlossenen Mauer umgeben; nicht einmal die Dachgiebel waren von der Straße aus zu sehen.
    Sano holte sich bei den Torwachen die Erlaubnis ein, auf das Gelände zu reiten, und gab sein Pferd bei einem Stallburschen in Obhut. Er überquerte einen Hof, der von dōshin -Kasernen gesäumt war, betrat das verschachtelte Hauptgebäude und ging durch den Empfangsraum – eine große freie Fläche, die nur von quadratischen Säulen unterbrochen wurde. Hier herrschte wie meist das reinste Chaos. Auf einer erhöhten Plattform in der Mitte des Raumes saßen vier Schreiber; sie schickten Botengänger los und fertigten Besucher ab, die in langen Reihen vor den Schreibpulten standen. Dōshin warteten darauf, sich vom Dienst abzumelden, ihre Schicht anzutreten oder ihre Berichte abzugeben. Diener eilten durch die Schiebetüren und brachten Servierbretter mit Tee oder Speisen in die Zimmer im Innern des Gebäudes, wo sich die Schreibstuben der yoriki befanden. Gedämpfter Sonnenschein fiel durch die mit Seidenpapier bespannten Fenster und warf Lichtspeere in die zum Schneiden dicke Luft, die von Essensdünsten, Schweiß und dem Tabakrauch aus ungezählten Pfeifen gesättigt war. Ein stetes, leises Gemurmel war zu vernehmen, das nur hin und wieder von einer erhobenen Stimme übertönt wurde.
    Im inneren Empfangszimmer dagegen war es wohltuend leise, als Sano eintrat. Nur zwei Männer hielten sich im Zimmer auf. Beide trugen Amtskleidung von elegantem Schnitt und mit den modischsten Mustern – weite, wallende Hosen aus Seide und Überröcke mit ausgestellten Schultern und mit weißen Schärpen gegürtet. Ihr sorgfältig frisiertes Haar verströmte den Duft von Gaultherienöl. Diese Männer waren die Verkörperung des stolzen, auf vornehme Eleganz bedachten yoriki.
    »Yamaga -san . Hayashi -san .« Sano verbeugte sich. »Ich grüße Euch.«
    Yamaga, der größere und ältere der beiden, erwiderte den Gruß, indem er leicht den Kopf neigte, ohne ein Wort zu sagen. Auf seinem Gesicht spiegelte sich Feindseligkeit. Hayashi, ein Mann in Sanos Alter, verzog die dünnen Lippen zu einem spöttischen Lächeln.
    »Guten Tag, Neuling«, sagte er. »Ich hoffe, Ihr könnt Eure Aufgaben bewältigen. So gut oder schlecht jedenfalls, wie man es von jemandem erwarten kann, der nicht dazu geboren wurde, eine solche Verantwortung zu tragen.« Der
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