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Der Kindersammler

Titel: Der Kindersammler
Autoren: Sabine Thiesler
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weil sie davon ausgingen, dass Benjamin fest schlief. Dabei hatte er geh ö rt, wie sein Vater ihn seiner Mutter gegen ü ber verteidigte. Er meinte, schlechte Zensuren seien nichts Ungew ö hnliches bei klein en Jungen, und meist sei es nur eine faule Phase, die nach ein, zwei Jahren wieder ausgestanden sei. Seine Mutter hatte da ihre Zweifel, und auch er glaubte nicht so recht an das, was sein Vater sagte, denn er machte sich ja selbst Sorgen um sich. Seine Lehrerin hatte gesagt, nur noch ein Wunder k ö nne ihn vor dem Sitzenbleiben retten.
    » Wenn du die Rechtschreibung nicht lernst « , sagte Frau Blau, » wirst du auch in allen anderen F ä chern einbrechen, weil du automatisch immer eine Zensur tiefer rutschst. Man muss ja raten, was da steht, was du meinst und was das ü berhaupt hei ß en soll. Lies B ü cher, dann siehst du, wie die Worte geschrieben werden. «
    Benjamin verstand die ganze Rechtschreibung nicht. Warum wurde » Bohne « mit » h « geschrieben? » Weil man das » O « lang spricht « , sagte Frau Blau, aber das » o « in » Kanone « wurde auch lang gesprochen, und die Kanone schrieb man ohne » h « . Das konnte ihm Frau Blau auch nicht erkl ä ren. Und dann beim Diktat brachte Benjamin alles durcheinander. Schrieb man den » Wal « nun mit » h « oder mit zwei » a « oder einfach mit einem » a « ? Und wie war das mit dem » Saal « und dem » Pfahl « und der » Qual « ? Benjamin ü berlegte und ü berlegte, wurde immer unsicherer, brachte alles durcheinander und machte dadurch noch jede Menge Fl ü chtigkeitsfehler. Letztendlich bekam er jedes Mal eine F ü nf. Er konnte es einfach nicht. Es ging alles nicht in seinen Kopf.
    Die Mathearbeit hatte er verhauen, weil er das Einmaleins nicht gelernt hatte. Klar, das war seine Schuld, aber auch diese Zahlen gingen nicht in seinen Kopf. Er konnte sich einfach nicht merken, dass zwei mal siebzehn vierunddrei ß ig war und sieben mal acht sechsundf ü nfzig. Keine Zahl hatte f ü r ihn eine Bedeutung, nach drei Sekunden hatte er sie wieder vergessen.
    Benjamin war fest entschlossen, die missratenen Arbeiten seinem Vater zu zeigen und ihm alles zu erkl ä ren. Sicher war er genauso entt ä uscht wie seine Mutter, aber er w ü rde ihn sicher verstehen, und er weinte wenigstens nicht. Er w ü rde unendlich traurig gucken, aber die Arbeiten unterschreiben. Und wahrscheinlich diesen f ü rchterlichen Satz sagen, der Benjamin immer zu Tode erschreckte: » Wir m ü ssen eine L ö sung finden, mein Sohn. «
    Kurz vor acht h ö rte er auf, aus dem Fenster zu gucken. Die Hoffnung Biss sein Vater n ü chtern nach Hause kam und er noch mit ihm sprechen konnte, wurde immer geringer. Er setzte sich ins Wohnzimmer zu seiner Mutter, um mit ihr gemeinsam die Tagesschau anzusehen. Seine Mutter freute sich, wenn er sich f ü r die Nachrichten interessierte.
    Er sa ß ganz still. Ab und zu sah ihn seine Mutter an und l ä chelte. Als die Nachrichten zu Ende waren, sagte Benjamin: » Papa kommt sicher gleich. Mach dir keine Sorgen. «
    Marianne nickte tapfer und streichelte Benjamins Hand. » Was h ä ltst du von einer Leberwurststulle? «
    Benjamin strahlte. » Au ja, ich mach uns welche. « Er rannte in die K ü che.
    Als er mit zwei Leberwurstbroten und zwei Gl ä sern Milch zur ü ck ins Wohnzimmer kam, war seine Mutter eingeschlafen. Aber als er versuchte, das kleine Tablett, auf dem eine sonnige Gebirgslandschaft zu sehen war, leise auf dem Couchtisch abzustellen, wachte sie auf und nahm ihn in den Arm.
    » Mein gro ß er Junge « , fl ü sterte sie, » wenn du w ü sstest, wie lieb ich dich hab. «
    » Ich dich auch, Mama « , fl ü sterte Benjamin ebenfalls, » ich dich auch. « Er war vollkommen gl ü cklich in diesem Moment und dr ü ckte seine Mutter ganz fest. Aber gleichzeitig war ihm zum Heulen zumute. Er h ä tte ihr so gern sein Herz ausgesch ü ttet, aber er traute sich nicht.
    Um neun Uhr schickte ihn seine Mutter ins Bett. Benjamin verschwand ohne Protest in seinem Zimmer. Aber schlafen konnte er nicht. Immer wieder sprang er aus dem Bett und sah auf die Stra ß e. Immer wieder kamen wildfremde Menschen um die Ecke — sein Vater war nicht dabei. Um elf war er einfach zu m ü de, um noch l ä nger wach zu bleiben. Er beschloss, am n ä chsten Tag die Schule zu schw ä nzen, um ein bisschen Zeit zu gewinnen, denn Frau Blau w ü rde sicher nach den Unterschriften fragen. Kurz darauf schlief er, mit seinem Teddy im Arm, ersch ö pft ein.
    Als
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