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Der Kindersammler

Titel: Der Kindersammler
Autoren: Sabine Thiesler
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weinen.
    Wenige Minuten später schloss Kober die Saaltür auf Pit war der Erste, der vom Sicherheitspersonal durchsucht und außerdem mit einem Metalldetektor abgetastet wurde. Dann betrat er den Saal und setzte sich ganz rechts ans Fenster, direkt neben Heizkörper und Feuerlöscher.
    Als Mareike das Telefonat unverrichteter Dinge beendete, weil Bettina immer noch weinte, war sie eine der Letzten, die den Gerichtssaal betraten. Sie setzte sich ebenfalls auf die rechte Seite des Saales, auf die Bank neben Anwalt Märten, der für die Nebenklagen zuständig war.
    Sitzungssaal 17 A
    Mareike nickte Anne Golombek kurz und freundlich zu, als sie Platz nahm. Anne war ebenfalls Nebenklägerin und saß drei Plätze weiter. Der Kontakt zwischen ihr und Anne war in den vergangenen Monaten nicht abgerissen. Anne war zu ihrem Mann Harald nach Schleswig-Holstein zurückgekehrt und versuchte seit geraumer Zeit, Valle Coronata zu verkaufen. Aber selbst ein geschickter Makler wie Kai schaffte es nicht, dazu war die Erinnerung an das Geschehene noch zu frisch. Niemand wollte ein Haus kaufen, in dem ein Kind getötet worden war. Mareike wusste auch, dass Anne wieder schwanger war und sich auf das Kind freute.
    Als der Angeklagte hereingeführt wurde, wurde es still im Saal. Alfred ging hoch erhobenen Hauptes, er versuchte sein Gesicht nicht zu verstecken, sondern genoss die Aufmerksamkeit sichtlich. Aber er sah blass aus. Durch die lange Untersuchungshaft hatte er seine gesunde Bräune verloren und wirkte älter. Nur sein Selbstbewusstsein schien ungebrochen.
    Als seine Personalien geklärt waren und die Staatsanwaltschaft begann, die seitenlange Anklageschrift zu verlesen, lehnte er sich entspannt in seinem Stuhl zurück.
    Mareike starrte in seine kalten blauen Augen und hielt es aus, wenn er ihren Blick mit einem beinah süffisanten Lächeln erwiderte. Dieser Prozess, die Verurteilung dieses Massenmörders, hätte der größte Triumph ihrer gesamten Karriere als Kommissarin sein können, aber jetzt sprach man hier vor Gericht über ihre größte private Niederlage. Letztendlich hatte er gesiegt, indem er auch ihren Sohn getötet hatte.
    In der letzten Zuschauerreihe saß Carla. Sie trug ein weites Wollcape und hatte außerdem einen Wollschal mehrmals um ihren Hals und ihr Gesicht geschlungen, sodass nur noch ihre Augen zu sehen waren. Niemand hatte hier im Gericht mit ihr gesprochen, und sie war sicher, dass auch Alfred nicht ahnte, dass sie hier war.
    Sie wusste, dass das, was der Staatsanwalt sagte, wahr war, aber sie konnte es dennoch nicht glauben. Er war einmal ihr Alfred gewesen, für den sie alles aufgegeben und mit dem sie vierzehn Jahre lang zusammengelebt hatte. Der Mann mit der sanften Stimme, der die Natur liebte und respektierte, der sich über das Leuchten der Glühwürmchen freuen und stundenlang in den Himmel schauen konnte, um in den Wolkentürmen wechselnde Figuren zu erkennen und Geschichten zu erträumen.
    Mareike konnte der Anklageverlesung kaum zuhören. Sie kannte die Details, hunderte Male hatte sich das Leid der Kinder und das grausame Sterben auch ihres kleinen Jan in ihrer Vorstellung wiederholt, sie versuchte, nicht hinzuhören und an etwas anderes zu denken. Wenn sie das alles noch einmal minutiös durchleben sollte, würde sie diesen Prozess nicht durchstehen.
    Sie ließ ihren Blick wandern und sah sich im Zuschauerraum um. Viele Gesichter waren ihr bekannt. Daniel Dolls Vater wirkte hochkonzentriert, er vermied es, Alfred anzusehen, und las die ganze Zeit in einer Akte. Annes Miene war unbeweglich und undurchdringlich, auch sie würdigte Alfred keines Blickes und drehte nur ah und zu den Ehering an ihrer rechten Hand hin und her. Von Florian Hartwig waren beide Eltern erschienen, die sich die ganze Zeit an den Händen hielten.
    Neben der Heizung saß ein Mann, der ihr ebenfalls bekannt vorkam, aber sie konnte ihn beim besten Willen nicht einordnen. Er hatte die Beine übereinander geschlagen und seinen Kopf so auf die Hand gestützt, dass sie sein Gesicht nicht erkennen konnte.
    Immer wieder sah Mareike zu diesem Mann, und als der Staatsanwalt über Benjamin Wagner sprach, löste er für einen Moment seine starre Haltung und fixierte den Angeklagten. Und in diesem Moment erkannte sie ihn. Es war Peter Wagner, Benjamins Vater.
    Als der Staatsanwalt über Felix Golombek sprach, beobachtete Mareike, wie Peter Wagners Hand hinter den Feuerlöscher glitt, etwas hervorzog und blitzschnell in seiner
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