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Der Kindersammler

Titel: Der Kindersammler
Autoren: Sabine Thiesler
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Augenblick betrügen. Den Moment, wo vor ihm nur noch ein Körper lag, dessen Wille gebrochen war und der aufgehört hatte zu kämpfen. Der sich in sein Schicksal fügte und widerstandslos in den Tod hinüberglitt. Er — Enrico—wollte bestimmen, wann es so weit war. Es waren meist nur Sekunden, aber die waren orgiastischer als alles, was ein Mensch erleben konnte. Von einer Intensität, die ihn noch Monate danach erfüllte und ihn ganz leicht und glücklich werden ließ. Göttlich eben.
    Er ließ sein Bein vorschnellen und trat dem kleinen Jungen in die Nieren. Jan bäumte sich auf. Er lebte also noch.
    Enrico lehnte sich zurück und griff sich beinah brutal in die Hose, um sich zu zügeln. Langsam. Ganz langsam. Jan brauchte jetzt eine Ruhepause, sonst würde er das, was er noch mit ihm vorhatte, nicht überleben. Und das wäre schade.
    Der Grappa hatte ihn ohnehin müde gemacht. Im Grunde konnte er es wagen, ein paar Stunden zu schlafen.
    Natürlich würden sie Jan suchen. Aber wahrscheinlich erst gegen Abend bei Einbruch der Dunkelheit. Bettina vertraute ihm.
    Auch wenn sie Casa Meria verlassen vorfanden, würden sie erst mal keinen Verdacht schöpfen. Bei Enrico wähnte Bettina ihren Jan in Sicherheit. Enrico lächelte. Bettina war so freundlich, so arglos, eine selten dumme Kuh. Und in der Dunkelheit war eine Suche sinnlos. Also würden sie frühestens morgen früh damit beginnen. Er konnte es wirklich wagen, ein paar Stunden zu schlafen. Um Mitternacht würde er weitermachen, und bis zum Tagesanbruch war viel Zeit. Wunderbar.
    Er löschte die Kerze und dachte gar nichts mehr. Er schlief sofort ein.
    Albano Lorenzo, der Maresciallo der Carabinieri, leitete die umfangreiche Suchaktion, die mit anbrechendem Tageslicht bei Sonnenaufgang fortgesetzt wurde. Vier Suchtrupps wurden eingeteilt. Der erste durchstreifte wie schon am Tag zuvor das Gebiet um Enricos Haus Casa Meria und über San Vincenti bis hinauf nach Montebenichi und La Pecora; der zweite hatte die Gegend um La Roccia, Solata und Cennina im Visier; der dritte Casa Lascone, Badia a Ruoti bis zum kleinen Dorf Rapale, und der vierte Suchtrupp durchkämmte die Wälder um Valle Coronata und Duddova bis hinunter nach Ämbra. Es waren die Umgebungen der Häuser, die Enrico restauriert und gänzlich neu aufgebaut hatte. Valle Coronata, La Pecora, Casa Lascone, La Roccia und zuletzt Casa Meria.
    Fast die ganze Nacht hatte Mareike zusammen mit Anne im Ufficio des Maresciallo verbracht. Kai war ebenfalls dabei gewesen und hatte so gut es ging gedolmetscht. Inzwischen war der Capo der Carabinieri umfassend über Enrico informiert. Mareike zeigte
    ihm Enricos Trophäen, die Eckzähne, die sie in seinem Haus gefunden hatte, und erläuterte ihre Vermutungen, dass der deutsche Kindermörder eventuell mit dem italienischen identisch sein könnte.
    Um drei Uhr früh kamen die ersten Ergebnisse der Pathologie in Florenz, wohin man Felix' Leiche noch am Abend gebracht hatte. Zumindest eines stand zu diesem Zeitpunkt bereits fest: Auch Felix war der vordere Eckzahn post mortem herausgebrochen worden. Ob einer der gefundenen Zähne nun definitiv Felix gehörte, konnte man zu diesem Zeitpunkt noch nicht zweifelsfrei feststellen.
    Noch in dieser Nacht wurden die wichtigsten Ermittlungsergebnisse aus Deutschland von Karsten Schwiers per E-Mail nach Italien geschickt. Für die komplizierten Übersetzungen der Kriminaltechnik und Forensik bestellte Lorenzo die Dolmetscherin und Expertin Marisa Forelli aus Arezzo, die bereits eine Stunde später in der Polizeistation eintraf und sofort simultan übersetzte, was bedeutete, dass sie dem Maresciallo quasi auf Italienisch vorlas, was auf Deutsch in den Akten geschrieben stand.
    Am frühen Morgen war Lorenzo ausreichend informiert, daher schickte er auch die Suchtrupps in die Umgebung von Enricos früheren Wirkungsstätten. Außerdem ordnete er an, sofort die Fundamente der Pools von Casa Lascone und La Roccia aufzuschlagen.
    Giancarlo Ponticini hatte diese Nacht viel zu kurz und schlecht geschlafen und war dementsprechend mies gelaunt. Er leitete den Suchtrupp vier und fand es überflüssig, die Gegend um Valle Coronata, Casa Vigna, II Nido und den See noch einmal abzusuchen, da sie gestern bereits jeden Grashalm am Seeufer von vorn und hinten begutachtet hatten, wie sich Giancarlo despektierlich äußerte. II Nido war außerdem ein Haus, dessen Fenster und Türen seit Jahren zugemauert waren, dorthin verirrte sich noch nicht mal
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