Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Kindersammler

Titel: Der Kindersammler
Autoren: Sabine Thiesler
Vom Netzwerk:
entgegenstr ö mte, tat ungeheuer gut. Benjamin blieb im Eingangsbereich stehen, ö ffnete seinen Anorak und hoffte, die warme Luft w ü rde auch das Hemd auf seinem R ü cken trocknen, aber es klappte nicht. Sein nasses T-Shirt blieb kalt und klamm. Also ging er hinein, durchquerte die Kurzwaren- und die Strumpfabteilung, kam an diversen St ä nden mit billigem Modeschmuck vorbei und erreichte die Rolltreppe hinter den Drogerieartikeln. Er fuhr in den vierten Stock, weil er wusste, dass dort die Toiletten waren.
    Er hatte Gl ü ck. Die M ä nnertoilette war leer. Um diese Zeit war noch nicht viel Betrieb im Kaufhaus, es hatte erst vor einer halben Stunde ge ö ffnet. Hastig zog er Anorak, Pullover und T-Shirt aus, zog den Pullover wieder an, weil er sich mit nacktem Oberk ö rper furchtbar sch ä mte, und hielt sein T-Shirt unter den elektrischen H ä ndetrockner. Er musste das Gebl ä se zehnmal neu starten, bis das T-Shirt endlich trocken war. Erleichtert zog er sich wieder an und f ü hlte sich in den warmen, trockenen Sachen richtig wohl.
    In diesem Moment kam ein ä lterer, dicker Mann herein, der seine wenigen Haare vom Hinterkopf nach vorn gek ä mmt hatte und geblendet blinzelte, obwohl es in der Toilette ü berhaupt nicht besonders hell war. Er musterte Benjamin argw ö hnisch, sagte aber nichts, sondern verschwand in einer der Kabinen. Als Benjamin h ö rte, dass der Mann die Toilettent ü r verriegelte, hielt er noch seinen Kopf und seine nassen Haare unters Gebl ä se, aber er erreichte mit der warmen Luft nur den Hinterkopf. Also lie ß er es bleiben, zog den Anorak wieder an, nahm seine Schultasche und machte sich auf den Weg zur Spielwarenabteilung.
    » Pass mal uff, junger Mann, du spielst jetzt schon ne janze Stunde. Ick finde, jetzt is langsam jenuch « , sagte ein junger Verk ä ufer mit E!vis-Tolle. » Wir sind ja hier keen Kinderjarten. Hast du denn keene Schule? «
    » Unsre Lehrerin is krank « , stotterte Benjamin und legte nur widerwillig und schweren Herzens die Fernbedienung f ü r die Autorennbahn aus der Hand. » Ich geh ja schon. «
    » Na, dann isja jut « , grummelte der Verk ä ufer und nahm die Autos von der Bahn.
    Benjamin griff seine Sachen. Es war jetzt elf Er hatte noch ü ber zwei Stunden Zeit und ü berlegte, was er machen k ö nnte. Von Karstadt hatte er erst mal genug, aber vielleicht regnete es nicht mehr, dann k ö nnte er zum Kanal gehen, Enten f ü ttern. Seine beiden Schulbrote hatte er noch nicht anger ü hrt. Eins f ü r ihn und eins f ü r die Enten. Das war okay. Die armen Viecher fanden ja kaum was zu Fressen bei dem Wetter.
    Im vergangenen Fr ü hjahr waren die B ä ume gef ä llt worden, die direkt am Ufer des Kanals standen, weil sie drohten, ins Wasser zu st ü rzen und die Schifffahrt zu behindern. Das Gartenbauamt hatte die St ä mme fein s ä uberlich zers ä gt und aufgeschichtet, um sie besser abtransportieren zu k ö nnen. Dennoch waren einige Holzst ü cke weggerollt oder liegen geblieben.
    Auf einem sa ß Benjamin, nur zwei Meter vor sich im seichten Uferwasser schwamm eine Schar Enten. Bestimmt zwanzig, drei ß ig St ü ck, die blitz schnell und scheinbar aus dem Nichts aufgetaucht waren, als Benjamin einem einzelnen, gem ä chlich vor sich hin schwimmenden Paar die ersten Brotbrocken zugeworfen hatte.
    Als er ein Brot verf ü ttert hatte, fing es erneut an zu regnen. Er setzte die Kapuze auf, weil er nicht wieder ein nasses Hemd haben wollte, und fing an, auch noch das Schulbrot zu verf ü ttern, das er eigentlich selber essen wollte. Die Enten wurden immer zutraulicher, immer unversch ä mter, kamen immer n ä her an ihn heran. Einige holten sich inzwischen die Kr ü mel direkt bei ihm aus der Hand, da sie dann um die einzelnen Bissen nicht mehr k ä mpfen mussten.
    So lange er denken konnte, hatte sich Benjamin ein eigenes Haustier gew ü nscht, aber nie eins bekommen. Seine Mutter hatte Angst vor der Arbeit, vor dem Dreck und vor den Krankheiten, die so ein Tier ü bertragen konnte. Sein Vater hatte ihm allerdings eine kleine Katze versprochen, falls er die f ü nfte Klasse doch noch schaffen sollte, aber das w ü rde wohl nicht klappen. Die Katze konnte er abschreiben.
    Benjamin war so vertieft ins F ü ttern und so begeistert, weil immer mehr Enten angeschwommen kamen, dass er die zwei Typen nicht bemerkte, die sich ihm langsam und von hinten n ä herten. Au ß erdem sah und h ö rte er unter seiner Kapuze wenig.
    Die beiden sahen aus wie Skins,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher