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Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)

Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: John Harvey
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genau darum gehen. Jedenfalls zum größten Teil.
    So kam es, dass nicht der Inspector selbst, sondern sein Sergeant der ranghöchste Beamte im Dienstraum des CID war, als der Anruf einging.
    Dabei hätte eigentlich auch Graham Millington nicht auf der Dienststelle sein sollen, sondern daheim in seinem Garten. Oder in Somerset. In Taunton, genauer gesagt. Bei der Schwester seiner Frau und ihrem langweiligen Ehemann, um sich bei widerlich schmeckendem Earl Grey und Eiersandwiches endlose Tiraden über die steigenden Verbrechenszahlen, das Ozonloch und die schwindende Unterstützung für die Konservativen anzuhören. Ach ja, und natürlich über Jesus. Als überzeugte christlich-konservative Umweltschützer, die hoch oben zur grünen Rechten Gottes saßen, hätten die beiden ihm zum Salat aus organischem Anbau wahrscheinlich viele gute Ratschläge gegeben, wie man den sauren Regen von sich fernhielt.
    Aber Millingtons langes Gesicht und sein hartnäckiges Geunke über Staus auf der M5 hatten schließlich ihre Wirkunggetan. »Gut«, hatte seine Frau gesagt und die Arme verschränkt, »dann fahren wir eben nirgendwohin.« Ohne weitere Diskussion hatte sie sich daraufhin mit einem illustrierten Führer durch die Tate Gallery, einer neuen Biografie von Stanley Spencer und ihren Ohrstöpseln ins Wohnzimmer verzogen: Der Kunstgeschichtekurs in diesem Semester begann mit einem neuen Blick auf die britischen Fantasten. Millington hatte ein paar Dahlien hochgebunden, die verwelkten Blüten der letzten Rosen abgeknipst und ernsthaft überlegt, ob er nicht gleich noch eine Oberflächendüngung über den Rasen gießen sollte. Er trug schwer am Unmut seiner Frau, die auf dem neu bezogenen Sofa lag und sich mit vorwurfsvoller Miene diese fürchterlichen Gemälde ansah, die sie ihm gezeigt hatte. Was war das gleich wieder gewesen? Diese blöden Kühe in Cookham. Heiliger Strohsack.
    Er war keine zehn Minuten im Büro, der Tee hatte noch nicht einmal richtig gezogen, als das Telefon läutete. Gloria Summers. Zuletzt um kurz nach dreizehn Uhr auf einer der Schaukeln im Lenton-Park gesichtet. Verwandte, Nachbarn, Freunde – niemand hatte sie gesehen, seit ihre Großmutter sie allein zurückgelassen hatte, weil sie zwei Straßen weiter schnell etwas einkaufen wollte. Bleib schön hier, ja, sei brav. Gloria Summers, sechs Jahre alt.
    Millington notierte die Einzelheiten, trank einen Schluck Tee und rief Resnick an. Wenn der Chef erst einmal einbezogen war, würde er wahrscheinlich selbst mit den Eltern des Kindes sprechen wollen. Denn davor graute Millington mehr als vor allem anderen: in diese zerbrechenden Gesichter zu blicken und Lügen zu erzählen.
    Der Anruf enthob Resnick einer schwierigen Entscheidung: Den Samstagabend am Tresen im polnischen Klub zu verbringen, mit dem Wunsch, er wäre zu Hause geblieben,oder den Samstagabend zu Hause zu bleiben, mit dem Wunsch, er wäre in den Klub gegangen. Er sprach mit Maurice Wainright, vergewisserte sich, dass alle Suchtrupps alarmiert und Streifenwagen umgeleitet waren, und erfuhr, dass noch keine neuen Informationen eingegangen waren. Sechs Uhr. Er vermutete, der Superintendent hörte Radio. Er hatte recht.
    »Na, Ihre Mannschaft hat sich ja nicht gerade mit Ruhm bekleckert, Charlie«, sagte Jack Skelton.
    »Sie kamen irgendwie nicht in die Gänge, Sir.«
    »Und der Endspurt ist wahrscheinlich wie gewohnt zu spät gekommen.«
    »Das fürchte ich auch, Sir«, sagte Resnick und berichtete ihm dann vom Verschwinden des kleinen Mädchens.
    Skelton sagte nichts. Im Hintergrund war ein Nachrichtensprecher zu hören, übertönt von einer Frauenstimme, wahrscheinlich der von Skeltons Frau oder Tochter, Resnick konnte es nicht mit Sicherheit sagen.
    »Fünf Stunden, Charlie. So lang ist das noch nicht her.«
    Das Kind konnte von der Schaukel gesprungen sein, gemerkt haben, dass seine Großmutter nicht mehr da war, sich in Panik auf die Suche gemacht und dabei verlaufen haben. Irgendeine Mutter, irgendjemand, der eigentlich gescheiter hätte sein sollen, konnte es zusammen mit Freunden der eigenen Kinder zu Cola und Kuchen mit nach Hause genommen und die Bande vor ein Zeichentrickvideo mit vermenschlichten Tieren gesetzt haben, die die scheußlichsten Gewalttaten verübten, worüber die Kleinen Tränen lachten. Es konnte auch sein, dass es auf eine Geburtstagsfeier mitgenommen worden war und nun mit klebrigen Popcorn-Händen im »Savoy« saß. Das alles war möglich, es war natürlich alles schon
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