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Der Kelte

Der Kelte

Titel: Der Kelte
Autoren: Claire Gavilan
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sie in sein schönes, trauriges Gesicht.
    Er überlegte nicht lange. Mit zwei langen Schritten war er bei ihr. Er streckte die Hand nach ihr aus, als wolle er sie auf die Füße ziehen.
    Rose suchte seinen Blick. Ein Flackern stand in seinen Augen, ein Ausdruck, der gleichzeitig um Verzeihung bat und voller Selbstekel war.
    Rose schwankte.
    Sie rief sich ins Gedächtnis, was eben geschehen war. Sie war in ihrem Zimmer im Ferienhaus in der Bretagne gewesen. Daran erinnerte sie sich ganz deutlich. Sie hatte Sex mit Alan gehabt, und dann hatte er nach dem Briefbeschwerer auf ihrem Nachttisch gegriffen und sie ...
    ... erschlagen!
    Rose schloss die Augen. Sie sah den schweren Stein mit der eingravierten Triskele auf sich niedersausen, spürte erneut den Schmerz in ihrer Schläfe. Es war erst dunkel um sie geworden, dann glutrot und am Ende ganz hell.
    Und im nächsten Moment war sie hier gewesen. Im Paris einer Zeit, die definitiv nicht das 21. Jahrhundert war. Grundgütiger! Sie hatte natürlich Romane gelesen, in denen der Heldin so etwas passierte, und sich manchmal darüber gewundert, wie lange diese Frauen in den Büchern immer brauchten, bis sie kapierten, was geschehen war. Jetzt wusste sie warum. Ihr Verstand kam den Ereignissen einfach nicht hinterher.
    Zeitreisen waren völlig unmöglich!
    Reiß dich zusammen! , ermahnte sie sich selbst, und um nicht hysterisch zu werden, überlegte sie, wann genau der Eiffelturm errichtet worden war. In den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts. Dieses Datum lernte in Frankreich jedes Kind in der Schule.
    Rose öffnete die Augen wieder, krallte die Finger um die Sitzfläche ihrer Bank. Monsieur Eiffel schien mit sich zu ringen, was er tun sollte. Er war blass geworden. Noch immer rührte er sich nicht.
    Alan trat einen Schritt näher, blieb dann aber stehen, als sei er sich nicht sicher, ob Rose ihn in ihrer Nähe ertragen konnte.
    Ihre Lippen teilten sich. „Du hast mich ...“ Sie konnte es nicht aussprechen.
    In ihrem Kopf schwirrte es.
    „Du hast mich ...“ Wieder verstummte sie, bevor das Wort über ihre Lippen kam.
    Umgebracht!
    Sie zwang sich, es wenigstens zu denken.
    Alans Blick verschleierte sich. So viel Schmerz erschien in seinen blauen Augen, dass Rose ihm nicht länger ins Gesicht schauen konnte. Sie senkte den Blick.
    Vorn an der Cafétür bimmelte die Glocke in dem hektischen Rhythmus, der verriet, dass jemand in großer Eile hereingestürzt kam.
    „Raus hier!“, erklang eine wohlvertraute Stimme.
    „Enora!“ Rose hauchte den Namen ihrer Freundin. Genau wie Rose und Alan steckte auch Enora in der Kleidung, die sie vor wenigen Minuten noch in der Zukunft angehabt hatte – hellbraune Chinos und darüber ein Tanktop im Lagenlook. Als Monsieur Eiffel sie sah, fielen ihm fast die Augen aus dem Kopf.
    Enora kam an Roses Tisch geeilt und packte ihren Arm. Beinahe grob zerrte sie sie auf die Füße. „Wir müssen hier weg! Sie ...“
    Das erneute Bimmeln der Cafétürglocke unterbrach sie.
    Herein trat eine Frau in einem bodenlangen, dunkelroten Kleid. Ihre pechschwarzen Haare umrahmten ein blasses, bildschönes, aber kaltes Gesicht, und in ihren bernsteinfarbenen Augen lag ein düsteres Glühen. Sie ließ ihren Blick durch den Raum schweifen.
    Schlagartig sirrte die Luft vor Elektrizität. Rose taumelte auf die Füße. Branwen , dachte sie wie betäubt.
    „Mon dieu!“, hauchte Monsieur Eiffel.
    Die schwarzhaarige Frau richtete den Blick auf ihn. Er wurde ganz bleich und wich zurück.
    „Besser, Monsieur“, sagte sie mit überaus liebenswürdiger Stimme, „Sie verlassen dieses Etablissement.“
    Das ließ Eiffel sich nicht zweimal sagen. Eilig griff er nach seinem Hut, und ohne ihn aufzusetzen, rannte er hinaus auf die Straße.
    Branwen kam einen Schritt auf Rose zu. Ein zufriedenes Lächeln glitt über ihre blutrot angemalten Lippen.
    „Da sind wir ja alle versammelt“, sagte sie fröhlich.
    Roses Kehle entwich ein entsetztes Wimmern. Alan war plötzlich ganz dicht bei ihr. Er legte eine Hand zwischen ihre Schulterblätter, wie um sie zu stützen.
    Sein Gesicht war bleich, seine Lippen schmal. Und als er sagte: „Meine Morrigan!“, begannen seine Augen blau zu leuchten.
     
    Mit übernatürlicher Deutlichkeit nahm Rose wahr, was nun geschah.
    Branwen wandte den Kopf in Alans Richtung. Ihr Lächeln wurde breiter, das bernsteinfarbene Glühen in ihren Augen verstärkte sich, und für Rose sah sie plötzlich aus wie eine große, gefährliche
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