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Der Keim des Verderbens

Der Keim des Verderbens

Titel: Der Keim des Verderbens
Autoren: Patricia Cornwell
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holte ich mein Handy hervor.
    »Ja«, sagte ich, als er abnahm.
    »Der Wohnwagen war ein Volltreffer«, sagte er. »Wir haben den Hersteller herausgefunden und dort eine Adresse in Newport News erhalten. Ich dachte, das wird Sie interessieren. Das FBI müßte jeden Augenblick dort eintreffen.«
    »Ich wünschte, darauf wären die schon ein bißchen früher gekommen«, sagte ich. »Ich erwarte die Agenten dann an der Tür.«
    »Was haben Sie gesagt?«
    Ich unterbrach die Verbindung.
    »Ich habe mit Ihnen kommuniziert, weil ich wußte, daß Sie mir Beachtung schenken würden.« Crowders Stimme überschlug sich. »Und damit Sie einmal im Leben so richtig auf die Schnauze fallen. Die berühmte Ärztin. Die berühmte Gerichtsmedizinerin.«
    »Sie waren mir eine Kollegin und eine Freundin«, sagte ich.
    »Und ich hasse Sie!« Ihr Gesicht war gerötet, und ihr Busen wogte vor Zorn. »Ich habe Sie immer gehaßt! Immer haben Sie besser dagestanden, immer war Ihr Name in aller Munde. Die große Frau Dr. Scarpetta. Die Legende. Aber - ha! Wer hat jetzt wohl gewonnen? Am Ende war ich doch schlauer als Sie, nicht wahr?«
    Ich antwortete nicht.
    »Ich hab' Sie ordentlich rumgescheucht, was?« Sie starrte mich an, griff nach einem Aspirinfläschchen und kippte zwei Tabletten heraus. »Hab' Sie an die Schwelle des Todes gebracht und Sie im Cyberspace warten lassen. Auf mich!« triumphierte sie.
    Etwas Metallenes klopfte laut an ihre Haustür. Ich schob meinen Stuhl zurück.
    »Was werden die tun? Mich erschießen? Vielleicht sollten Sie das lieber tun. Ich wette, Sie habe eine Waffe in einer dieser Taschen.« Sie wurde langsam hysterisch. »Meine liegt im anderen Zimmer, und ich werde sie jetzt holen.«
    Sie stand auf. Draußen klopfte es weiter, und eine Stimme befahl: »Aufmachen! FBI.«
    Ich packte sie am Arm. »Niemand wird Sie erschießen, Phyllis.«
    »Lassen Sie mich los!«
    Ich zog sie zur Tür.
    »Lassen Sie mich los!«
    »Ihre Strafe wird es sein, auf die gleiche Weise zu sterben wie die anderen.« Ich zerrte sie hinter mir her. Zwei FBI-Agenten traten mit gezogenen Pistolen ein, und einer davon war Janet. Sie legten Dr. Phyllis Crowder Handschellen an, nachdem sie auf dem Boden zusammengebrochen war. Ein Krankenwagen brachte sie ins Sentara Norfolk General Hospital, wo sie einundzwanzig Tage später starb, ans Bett gekettet und über und über mit sich explosionsartig vermehrenden Pusteln bedeckt. Sie wurde vierundvierzig Jahre alt.

Epilog
    Ich konnte den Entschluß nicht sofort treffen. Lieber schob ich ihn bis Silvester auf, dem Tag, an dem es üblich ist, daß die Menschen sich Veränderungen vornehmen, Vorsätze fassen, Versprechen geben, von denen sie wissen, daß sie sie niemals halten werden. Schnee klickerte auf mein Schieferdach, und Wesley und ich saßen auf dem Fußboden vor dem Kamin und tranken Champagner.
    »Benton«, sagte ich, »ich muß was erledigen.«
    Er sah verwirrt aus, als ob ich jetzt gleich wegwollte, und sagte: »Die meisten Geschäfte haben geschlossen, Kay.«
    »Nein. Ich muß nach London. Im Februar vielleicht.«
    Er schwieg einen Moment, denn er wußte, was ich dabei im Sinn hatte. Dann stellte er sein Glas auf den Kamin und nahm meine Hand.
    »Darauf warte ich schon die ganze Zeit«, sagte er. »Wie schwer es auch ist - du solltest es tun. Damit du endlich einen Schlußstrich ziehen kannst und deinen Seelenfrieden findest.«
    »Ich weiß nicht, ob ich jemals meinen Seelenfrieden finden kann.«
    Ich entzog ihm meine Hand und strich mir das Haar zurück. Auch für ihn war es nicht leicht. Natürlich nicht.
    »Du mußt ihn vermissen«, sagte ich. »Du sprichst nie darüber, aber er war wie ein Bruder für dich. Ich weiß noch, wie oft wir etwas zu dritt unternommen haben. Kochen, Filme sehen, herumsitzen und über Fälle reden und darüber, welche Suppe die Regierung uns mal wieder eingebrockt hat - Zwangsbeurlaubungen, Steuern, Haushaltskürzungen.«
    Er lächelte verhalten und starrte in die Flammen. »Und ich dachte die ganze Zeit daran, was für ein Glück der Scheißkerl mit dir hatte. Hab' mich immer gefragt, wie das wohl sein mochte. Tja, nun weiß ich es, und ich hatte recht. Er hatte verdammtes Glück. Abgesehen von dir ist er wahrscheinlich der einzige Mensch, mit dem ich jemals ernsthaft geredet habe. Irgendwie seltsam. Mark war einer der größten Egozentriker, die ich je kennengelernt habe, einer von diesen schönen Menschen, narzißtisch bis zum Abwinken. Er war fähig und
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