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Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Titel: Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum
Autoren: Oliver Bottini
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sind sogar Kolleginnen. Sie schrieb für die liberale Tageszeitung Jutarnji List , die kritische Wochenzeitschrift Globus , das Magazin Nacional . Und unterrichtete privat, um leben zu können.
    »Gotovina interessiert mich im Moment nicht.« Ahrens wechselte ins Englische. »Mich interessiert der Kapetan. Hast du schon mal von ihm gehört?«
    »Nein.«
    »Kannst du dich bei deinen Kollegen erkundigen?«
    »Wozu?«
    Ahrens zeigte auf das Foto. »Er hat vielleicht einen Mord begangen.«
    » Vielleicht . Das Foto ist kein Beweis.« Irena setzte die Brille auf. Für einen kurzen Moment wirkte sie fast abweisend. Dann rang sie sich ein Lächeln ab.
    Ahrens verstand. Es machte nun mal einen Unterschied, ob man selbst kritisch über das eigene Land schrieb oder ob es ein Fremder tat. Das war in den USA , in Argentinien, in Japan nicht anders gewesen. So distanziert man das Eigene betrachtete, so stark identifizierte man sich unwillkürlich damit, wenn es von außen kritisiert wurde.
    Sie nahm die Artikelkopie wieder an sich, verstaute sie in der Klarsichthülle. Sie hätte daran denken müssen.
    Irena sagte: »Hast du in der Redaktion angerufen?«
    »Die Zeitung gibt es seit 1997 nicht mehr.«
    »Weißt du, wer den Artikel geschrieben hat?«
    Sie schüttelte den Kopf. Kein Name, kein Kürzel.
    »Also gut. Ich erkundige mich«, sagte Irena.
    »Danke.«
    »Mit wem hast du noch darüber gesprochen?«
    »Mit einem Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums, letzte Woche.«
    »Und?«
    »Er sagt, niemand weiß, wer der Kapetan ist. Nicht mal die Armee.«
    »Glaubst du ihm?«
    »Nein.«
    Irena lächelte. »Wie heißt er?«
    »Ivica Marković.«
    »Nie gehört.«
    Jenseits der Fenster war es mittlerweile dunkel. Die Regenlinien, die über die Scheiben liefen, verzerrten die Konturen der bunten Lichter.
    Ahrens war vor zwei Wochen in einem Zagreber Archiv auf das Foto des Kapetan gestoßen. Keine andere Zeitung hatte es abgedruckt, nur diese. Es hatte ihren Jagdinstinkt geweckt. Kein Name, keine Geschichte. Nur ein Foto, aufgenommen vielleicht Sekunden vor der Exekution des alten Mannes durch den kroatischen Kapetan. Und die schwülstige Litanei des Nationalismus.
    Das Verteidigungsministerium hatte sie zehn Tage lang auf eine Reaktion warten lassen. Am vergangenen Freitag war sie von Ivica Marković empfangen worden, einem eher kleinen, zuvorkommenden älteren Herrn im eleganten Anzug. Wir haben recherchiert. Leider lässt sich nicht mehr feststellen, wer die beiden Männer auf dem Foto sind. Bitte entschuldigen Sie. Manche Antworten enthält uns die Vergangenheit vor. Leider. Aber bleiben wir doch in Verbindung, man weiß ja nie. Vielen Dank für Ihr Interesse an unserem Land. Auf Wiedersehen.
    In Argentinien und Japan hatte sie ähnliche Menschen getroffen und ähnliche Ausflüchte gehört. Die Vergangenheit einer Nation als Staatsgeheimnis. Überall stieß man noch auf die alten Kader, die glaubten, nur Heldenmythen ließen ein Land im Glanz erstrahlen. Dabei funkelte Aufrichtigkeit doch viel heller.
    Auf Englisch sagte Irena: »Sprich von jetzt an mit niemandem mehr darüber, okay? Nur noch mit mir.«
    Ahrens schüttelte den Kopf. »Ich möchte an der Geschichte dranbleiben.«
    »Du hast hier keine einflussreichen Kontakte. Du bist nicht in ein Netzwerk eingebunden. Du hast keine Redaktion, die hinter dir steht und ein bisschen Wirbel macht, falls nötig.«
    »Ich kann mir nicht vorstellen, dass …«
    Irena legte ihr die Hand auf den Arm. »Du verstehst nicht.«
    Es gebe, erläuterte sie, in Kroatien verschiedene mehr oder weniger mächtige Interessengruppen. Darunter eine, die das Land unbedingt bis 2013 in die EU bringen wolle, und eine andere, die kroatische Kriegsverbrecher wie Ante Gotovina noch immer als Helden betrachte, darunter die Kriegsveteranen, die viel Einfluss besäßen.
    Eine dritte Gruppe vertrete beide Interessen. Und die sehe den EU-Beitritt gefährdet, falls Gotovina und die anderen Kommandeure – sie deutete Anführungszeichen an – »wider jedes internationale Recht« verurteilt würden und die »angeblichen Kriegsverbrechen« Kroatiens in den Fokus der Weltöffentlichkeit gerieten.
    Ahrens brauchte einen Moment, um die Verbindung herzustellen. Ein Foto aus der dunklen Zeit, darauf ein kroatischer Soldat, der kurz davor stand, einen serbischen Zivilisten zu erschießen. Ein Prozess gegen mutmaßliche kroatische Kriegsverbrecher, der vor dem Abschluss stand. Kamen das Foto und seine Geschichte – falls
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