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Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Titel: Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum
Autoren: Oliver Bottini
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Hofes standen die Frau und das Mädchen und beobachteten sie. Plötzlich waren die Namen wieder da, Theresa und Nina, die Angestellte hieß Rose.
    Als hätte die Frau gespürt, dass er an sie dachte, griff sie nach dem Arm des Mädchens und zog es an sich. Die Mutter vermutlich, Theresa, nicht die Angestellte.
    »Möchten Sie zu uns?«, fragte Bachmeier. Wie um sich den Anschein von Gelassenheit zu geben, schob er die Hände in die Taschen der Arbeitshose.
    Jordan musterte ihn. Fast drei Jahrzehnte Arbeit auf dem Hof hatten die kindlichen Züge nicht aus seinem Gesicht vertrieben. Auch jetzt noch, mit siebenunddreißig, hatte er das Gesicht eines in sich gekehrten Jungen, der zeit seines Lebens zu dick, zu gutmütig, zu mutlos gewesen war.
    »Oder haben Sie sich verlaufen?«
    Jordan zog eine Zigarette aus der Schachtel und entzündete sie. Lehnte an dem Baum, rauchte, wartete auf den richtigen Moment.
    Die Beine des Hundes zitterten jetzt.
    Zwanzig Jahre, für einen Golden Retriever ein undenkbares Alter. Aber er setzte sich nicht. Vage Reste des Jagdhundinstinkts mochten ihn die Unruhe seines Herrn spüren lassen.
    Ein loyales Tier.
    Es ging immer um Loyalität.
    Bachmeier musste gehört haben, dass Jordan sich im Tal nach Arbeit erkundigt hatte und zu ihm geschickt worden war. Hier schlitzten sich Nachbarn nicht gegenseitig die Kehle auf. Sie sprachen miteinander. Da kommt einer, der will bei dir arbeiten. Einer vom Balkan. Schon um die vierzig, aber er sieht aus, als könnte er zupacken.
    Bachmeier nickte in Richtung Baum. »Vorsicht, das Harz. Nicht dass Sie sich das Hemd verderben.« In seiner Stimme schwang eine Andeutung von Angst mit. Er spürte, dass es nicht um Arbeit ging.
    Mägges, dachte Jordan. Tapferer, dicker, verängstigter Mägges.
    Ob er wusste, wozu man Baumharz benutzen konnte? Wenn man es erwärmte und auf kleine Wunden strich, bildete es eine desinfizierende Schutzhaut. Wenn man es erhitzte und in größere Wunden goss, verursachte es starke Schmerzen.
    Doch hier, in diesem friedlichen Tal, brauchte man Baumharz nicht für diese Zwecke. Man hatte Medikamente, und es gab niemanden, dem man Schmerzen zufügen wollte.
    »Verstehen Sie mich?«, fragte Bachmeier.
    Jordan schnippte die Zigarette von sich und sagte sehr langsam: »Thomas Ćavar.«
    »Der Tommy lebt nicht mehr«, sagte Bachmeier. »Schon lange nicht mehr.«
    Jordan konzentrierte sich auf die kleinen, unruhigen Augen.
    »Er ist im September 1995 gestorben, in Bosnien, im Krieg.«
    Hinter den Augen tobten tausend Gedanken.
    Sekunden verstrichen, ohne dass ein Wort fiel. Der Hund ließ sich nieder, legte den Kopf auf die Vorderläufe. Die Müdigkeit war größer als die Loyalität.
    Schließlich räusperte Bachmeier sich. »Tut mir leid, dass ich Sie enttäuschen muss. Er war früher oft hier, wir waren Freunde, das stimmt. Aber wie gesagt, er ist im Krieg gefallen.«
    »Und Jelena?«
    »Jelena kannten Sie auch?«
    »Ja«, log Jordan.
    »Ist mit ihren Eltern fortgegangen. 1995, kurz nach Dayton.«
    »Wohin?« Das Wort wollte wie alle deutschen Wörter nur langsam aus Jordans Mund. Zu lange hatte er kein Deutsch gesprochen. Mit Briševo und den Eltern war auch die Sprache der Vorfahren verbrannt. Hier, in diesem Tal, wurde sie wieder lebendig.
    »Nach Serbien, soviel ich weiß. In die Vojva…«
    »Vojvodina.«
    Bachmeier nickte. Die Angst schien noch nicht gewichen, hielt sich mit Erleichterung das Gleichgewicht. Man konnte doch reden mit dem Mann vom Balkan, der seit drei Stunden vor dem Hof stand, als wollte er ihn belagern. Bloß ein Bekannter von Thomas und Jelena.
    Und doch …
    Jordan lächelte.
    Auf dem Vorplatz stand nur noch die Mutter. Sie war ein paar Meter in ihre Richtung gekommen. Nina, das Mädchen, war nicht zu sehen.
    Der Hund zu Bachmeiers Füßen war eingeschlafen.
    Die Oktobersonne machte das Tal träge. Das herbstliche Rotgold, der leichte Wind, der Duft nach Rinde … Aber das Tal hatte seine friedliche Anmutung verloren. Briševo und das nahe serbische Lager Omarska im Nordwesten Bosniens. Thomas Ćavar, der Kroate, und Jelena, die Serbin.
    1990 und 1995, dachte Jordan. Ein Hund wurde geboren, ein Staat entstand. Ein Mann starb im Krieg, eine Frau kehrte in die Heimat ihrer Eltern zurück.
    War es wirklich so gewesen?
    Er sagte: »Ist Thomas hier beerdigt worden?«
    »Es gibt kein Grab, nur ein serbisches Massengrab, irgendwo in Bosnien.«
    »Man hat seine Leiche nicht gefunden?«
    »Nein.«
    Jordan nickte. Dies
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