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Der kalte Kuss des Todes

Der kalte Kuss des Todes

Titel: Der kalte Kuss des Todes
Autoren: Tatjana Stepanowa
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Verdacht hatte, dass etwas nicht stimme.
    Die Vermutung liegt nahe, dass es sich um einen Mordanschlag handelte, aber dieser erste Versuch war nicht von Erfolg gekrönt. Daraufhin unternahm Dmitri den nächsten Schritt seines langfristigen Plans. Iwan würde er früher oder später noch erwischen – der führte ein allzu ausschweifendes Leben. Niemand würde sich wundern, wenn er eines Tages in irgendeiner verrufenen Gegend mit einem Messer im Rücken gefunden würde. Für Dmitri wäre es ein Leichtes, einen Auftragskiller vom Typ unseres verstorbenen Grant zu engagieren. Und die Miliz würde Iwans Tod auf Zwistigkeiten zwischen eifersüchtigen Homos zurückführen. Das waren vermutlich Dmitris ursprüngliche Pläne. Dann aber beschloss er, anders vorzugehen. . . aber darauf komme ich noch zu sprechen. Zuerst einmal unternahm er Anfang April erste Schritte, den zweiten Konkurrenten zu neutralisieren – seinen Zwillingsbruder. Ich sage absichtlich › neutralisieren ‹ anstatt › beseitigen ‹ , denn Stepan zu töten, dazu war Dmitri einfach nicht fähig. Für diesen Mann, dem nichts unmöglich schien, bedeutete der Tod seines Zwillingsbruders . . . Nun, ein Psychologe hat es mir so erklärt: Zwillinge empfinden sich oft als Einheit, besonders, wenn sie gemeinsam aufwachsen und fast nie getrennt sind. Und unsere beiden waren von Kindesbeinen an immer zusammen – zu Hause, in der Schule, beim Studium, sogar eine gemeinsame Wohnung besaßen sie, denn beide waren unverheiratet.
    Dmitri wusste alles über Stepan. Zwischen ihnen gab es niemals Geheimnisse – dass Stepan krank war, dass sein Benehmen manchmal verrückt war, wusste Dmitri natürlich auch. Wir haben erst vor kurzem aus Stepans Krankenakte von seinem heftigen, unkontrollierbaren Verlangen erfahren, Tiere zu jagen und zu verspeisen, von den erotischen Spielen im Bärenfell und von der fixen Idee, ein Bär zu sein. Dmitri wusste das alles von Anfang an – von Stepan selbst. Der Psychologe sagt, Stepan sei von dieser Wahnvorstellung, die ihm Mérimées Novelle und der Film › Bärenhochzeit ‹ suggeriert haben, seit seiner Kindheit besessen gewesen, und die später ausgebrochene Hirnkrankheit habe seine pathologischen Neigungen noch verstärkt. Dmitri beobachtete seinen Bruder aufmerksam, und eines Tages kam ihm der geniale Gedanke: Er konnte den Zwillingsbruder, sein zweites Ich, dessen Leben ihm kostbar war, für alle Zeiten vom Erbe fern halten, wenn er nicht bloß als psychisch krank, sondern als gefährlicher und geistesgestörter Verbrecher galt.«
    »Aber Dmitri hätte doch auch so Stepans Vormund werden und seinen Anteil verwalten können, wenn Stepans Gesundheit sich verschlechterte! Wieso musste er das alles auf so grauenhafte Weise komplizieren und ein solches Risiko eingehen?«, fragte Katja.
    »Ja, er hätte zum Vormund seines Bruders werden können, aber in ferner Zukunft. Stepans Krankheit war langwierig und schritt nur schleichend voran. Es hätte Jahre gedauert, ihn für geschäftsunfähig zu erklären und unter Vormundschaft zu stellen. Außerdem entwickelt die Medizin sich heutzutage rasant: Stepan hätte behandelt und geheilt werden oder sein Gesundheitszustand sich zumindest so sehr verbessern können, dass eine Entmündigung gar nicht mehr in Frage gekommen wäre.
    Kurz und gut, Dmitri beschloss, die Sache so zu drehen, dass für alle Zeiten zweifelsfrei feststand, dass Stepan eine tödliche Bedrohung für die Gesellschaft war, ein wahnsinniger Killer, den man isolieren, aber nicht vor Gericht stellen und als Mörder zum Tode verurteilen musste. Eine geschlossene Anstalt für besonders gefährliche Geisteskranke – das war das Schicksal, das Dmitri seinem Bruder zugedacht hatte. Ein Leben in der Zwangsjacke, aber das Leben und nicht den Tod wie für seinen Bruder Iwan.
    Als Jurist berücksichtigte Dmitri dabei noch einen sehr wichtigen Umstand: Wenn ein Mensch, der einen Mord begangen hat, als psychisch krank und unzurechnungsfähig eingestuft und in eine Anstalt eingewiesen wird, wird sein Vermögen nicht konfisziert. Alle Wertsachen, das gesamte Kapital wäre in der Familie geblieben. Und das Gericht hätte Dmitri als den älteren Bruder zum Vormund seines geistesgestörten Bruders eingesetzt.«
    »Aber auf diese Weise hat er sich selbst zum Bruder eines wahnsinnigen Mörders gestempelt!« Sergej war knallrot im Gesicht, vielleicht vom Kognak, vielleicht vor Erregung.
    »Das ist natürlich wenig erfreulich. Aber das Gerede der
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