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Der kalte Hauch der Angst

Der kalte Hauch der Angst

Titel: Der kalte Hauch der Angst
Autoren: Pierre Lemaitre
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sich ein Lächeln ab und erklärt: »Auch ich habe es eilig …«
    Â»Einen Moment, ich werde nachsehen«, sagt die Angestellte.
    Keine Zeit mehr, um die Frau zurückzuhalten, sie hat bereits die Schwingtür am Schalter aufgestoßen und klopft an die Tür des Büros gegenüber. Auf ihrem Rücken spürt Sophie den Blick des Bankangestellten, der an der Tür steht und eindeutig lieber am Esstisch sitzen würde. Es ist unangenehm, jemanden so zu spüren, hinter seinem Rücken. Aber in dieser Situation ist alles unangenehm, vor allem der Mann, der nun in Begleitung der Angestellten kommt.
    Ihn kennt Sophie, sie erinnert sich nicht mehr an seinen Namen, aber bei ihm hat sie damals das Konto eröffnet. Gut über dreißig, das Gesicht ein bisschen grobschlächtig, von der Sorte Mann, die Familienurlaub macht, Boule spielt und dabei blöde Witze reißt, zu Flipflops Socken trägt, in den nächsten fünf Jahren zwanzig Kilo zunimmt, sich für die Mittagspause eine Geliebte zulegt und mit den Kollegen darüber tratscht. Von der Kategorie »Aufreißer der BNP-Fililale«, mit seinem hellgelben Hemd und dem nachdrücklichen »Mademoiselle«. Ein Mistkerl eben.
    Der Mistkerl steht da, vor ihr. Neben ihm wirkt die Angestellte kleiner. Das liegt an seiner Autorität. Sophie begreift genau, was dieser Kerl darstellt. Sie spürt, wie sie am ganzen Körper schwitzt. Sie ist in eine wahre Mausefalle geraten.
    Â»Man hat mir gesagt, dass Sie … (und nun beugt sich der Kerl zum Monitor vor, als würde er diese Information zum ersten Mal abrufen) … praktisch Ihr ganzes Geld abheben wollen.«
    Â»Ist das verboten?«
    Im selben Moment wird ihr klar, dass das keine gute Idee war. Ein Frontalangriff auf diese Sorte Mistkerl bedeutet Krieg.
    Â»Nein, nein, das ist nicht verboten, es ist nur …«
    Er dreht sich um, wirft der Angestellten, die neben der Garderobe steht, einen väterlichen Blick zu.
    Â»Sie können gehen, Juliette, ich schließe ab, kein Problem.«
    Das lässt sich die Frau mit dem so gar nicht zu ihr passenden Namen nicht zweimal sagen.
    Â»Sind Sie vielleicht mit dem Service in unserer Filiale nicht zufrieden, Madame Duguet?«
    Hinten in der Filiale schlagen Türen zu, die Stille ist nun noch bedrückender als zuvor. Sophie überlegt schnell …
    Â»O nein, es ist nur so, dass ich … verreise. Ja. Ich brauche liquide Mittel.«
    Das klingt nicht mehr so gut wie vorher, nun hört es sich übereilt, überstürzt, zweifelhaft, irgendwie durchtrieben an.
    Â»Liquide Mittel …«, wiederholt der Kerl. »Normalerweise vereinbaren wir bei so hohen Summen gern einen Termin mit unseren Kunden. Zu den Öffnungszeiten … Aus Sicherheitsgründen, wenn Sie verstehen.«
    Diese Andeutung ist so offensichtlich und passt so richtig zu diesem Typ, dass sie ihm am liebsten eine runterhauen würde. Sie klammert sich an den Gedanken, dass sie dieses Geld unbedingt braucht, ihr Taxi nicht den ganzen Tag wartet, sie hier raus muss, aus der ganzen Sache herauskommen muss.
    Â»Ich habe mich plötzlich zu dieser Reise entschieden. Ganz plötzlich. Und ich brauche das Geld unbedingt.«
    Sie sieht den Kerl an, und irgendetwas in ihr gibt nach, ein wenig von ihrer Würde; sie seufzt, sie wird tun, was sie tun muss, sie ist ein bisschen angewidert von sich selbst, aber nur ein ganz kleines bisschen.
    Â»Ich verstehe ja, dass ich Sie in eine schwierige Lage bringe,Monsieur Musain. (Der Name des Kerls ist ihr einfach so wieder eingefallen, ein kleines Zeichen ihres wiedergefundenen Selbstvertrauens.) Hätte ich Zeit gehabt, Sie anzurufen, Sie zu benachrichtigen, dann hätte ich das getan. Hätte ich den Zeitpunkt meiner Abreise wählen können, wäre ich nicht kurz vor der Mittagspause hierhergekommen. Wenn ich das Geld nicht brauchen würde, hätte ich Sie überhaupt nicht belästigt. Aber ich brauche es. Ich brauche die ganze Summe. Sofort.«
    Musain schenkt ihr ein selbstgefälliges Lächeln. Sie merkt, dass sie die Sache nun besser angepackt hat.
    Â»Die Frage ist auch, ob diese Summe bar vorhanden ist …«
    Sophie merkt, wie ihr kalter Schweiß ausbricht.
    Â»Aber ich sehe mal nach«, verkündet Musain.
    Dann ist er verschwunden. In sein Büro. Um zu telefonieren? Warum muss er in sein Büro, um nachzusehen,
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