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Der Junker von Ballantrae

Titel: Der Junker von Ballantrae
Autoren: Robert Louis Stevenson
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Seufzer auf, ich hätte bei den Erinnerungen laut aufweinen können, da ich ihn nun so vor mir sah, und während ich im hellen Mondschein dicht neben ihm stand, betete ich inständig, er möge erlöst werden, oder ich möge die Kraft gewinnen, in dieser Liebe zu beharren.
    »O Gott«, sagte ich bei mir, »er war der gütigste Mann gegen mich und gegen sich selbst, und nun schaudere ich vor ihm. Er tat kein Unrecht, jedenfalls nicht, bevor die Sorgen ihn niederschmetterten. Wir schaudern vor seinen Wunden, die ehrenvoll sind. O Gott, decke sie zu, ach, nimm ihn hinweg, bevor wir ihn hassen!«
    Ich war in meinem Herzen noch bewegt, als plötzlich ein Geräusch die Nacht durchdrang. Es war nicht sehr laut und nicht sehr nahe, aber da es aus einer so tiefen und langen Stille hervorbrach, alarmierte es das Lager wie ein Trompetenstoß. Bevor ich zur Besinnung kam, stand Sir William neben mir, und hinter ihm drängte sich die Mehrzahl seiner Leute, die alle aufmerksam horchten. Mir schien, als ich über die Schulter zurückblickte, daß auf ihren Stirnen eine Blässe lag, die nicht vom Mondlicht kam, und die Strahlen des Mondeswurden von den Augen der einen wie sprühende Funken widergespiegelt, während unter den Brauen der anderen tiefe Schatten lagen, je nachdem sie die Köpfe hoben oder senkten, um zu lauschen, was der Gruppe eine sonderbare und angsterfüllende Erregung verlieh. Der Lord stand ganz vorn, ein wenig vorgebeugt, die Hand erhoben, als ob er Stille gebieten wolle, wie in Stein verwandelt. Die Geräusche brachen nicht ab, in überstürzter Folge klangen sie herüber.
    Plötzlich redete Mountain mit heftigem, gebrochenem Flüstern wie ein Mensch, der von einem Druck erlöst wird. »Jetzt habe ich es«, sagte er, und als wir uns alle zu ihm wandten, um ihm zuzuhören, fügte er hinzu: »Der Inder muß das Versteck gewußt haben. Er ist es, er gräbt den Schatz aus.«
    »Natürlich, so ist es!« rief Sir William. »Wir sind Esel, daß wir das nicht längst vermutet haben.«
    »Allerdings«, fuhr Mountain fort, »ist das Geräusch sehr nahe bei unserem alten Lager, und ich kann nicht begreifen, wie er vor uns dort sein kann, wenn der Mensch nicht Flügel hat!«
    »Habsucht und Angst haben Flügel«, bemerkte Sir William, »Aber dieser Kerl hat uns aufgeschreckt, und ich möchte ihm gern seinen Gruß zurückgeben. Was denken Sie, meine Herren, wollen wir eine Mondscheinjagd veranstalten?«
    Man entschloß sich dazu, und es wurde alles vorbereitet, um Secundra bei der Arbeit zu umzingeln. Einige der Indianer Sir Williams eilten voraus, und nachdem wir eine starke Wache beim Hauptquartier zurückgelassenhatten, zogen wir auf dem unebenen Boden des Waldes von dannen. Die gefrorene Erde krachte unter unseren Füßen, und das Eis zersplitterte manchmal mit lautem Getöse. Über unseren Häupten war die Finsternis der Pinienwälder und streifenweise der Glanz des Mondes. Unser Weg führte abwärts in einen Talkessel, und während wir hinunterstiegen, wurden die Geräusche geringer und starben fast ab. An dem anderen Abhang war das Land offener, nur wenige Pinien standen verstreut da, und zwischen ihnen lagen mehrere große Felsblöcke, die im Mondschein schwarze Schatten warfen. Hier erreichten uns die Geräusche wieder deutlicher, wir konnten jetzt das Klingen von Eisen hören und genauer abschätzen, mit welch wütender Hast der Grabende sein Handwerkszeug benutzte. Als wir uns der Höhe näherten, flatterten ein oder zwei Vögel hoch und strichen dunkel im Mondlicht dahin. Im nächsten Augenblick blickten wir durch einen Vorhang von Zweigen auf ein höchst eigenartiges Bild.
    Eine schmale Hochfläche, überdacht von den weißen Bergen und näherbei von Wäldern eingerahmt, lag im hellen Mondlicht entblößt vor unseren Augen. Allerlei einfache Sachen, die den Reichtum der Waldwanderer ausmachen, lagen hier und da auf dem Boden wild zerstreut. Ungefähr in der Mitte stand ein Zelt, von Reif versilbert, die Tür offen, und dahinter schwarz das Innere. Auf der einen Seite dieser kleinen Bühne lagen, wie es schien, die zerfetzten Überreste eines Menschen. Ohne Zweifel hatten wir den Ort erreicht, wo das Lager von Harris gewesen war. Dort lagen die Sachen, diein der Panik der Flucht zurückgelassen waren, in jenem Zelt hauchte der Junker seinen Lebensatem aus, und der gefrorene Leichnam vor uns war der Körper des trunksüchtigen Schuhmachers. Es ist immer aufregend, den Ort eines tragischen Ereignisses zu betreten,
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