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Der Junker von Ballantrae

Titel: Der Junker von Ballantrae
Autoren: Robert Louis Stevenson
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aber auch das Gemüt der Leichtsinnigsten mußte erregt werden durch den Anblick dieses Lagers, das wir nach so vielen Tagen wiederfanden, und zwar völlig unverändert, in der Einsamkeit der Wildnis. Doch das war es nicht, was uns in Steinsäulen verwandelte, sondern der Anblick Secundras, den wir zwar halb erwartet hatten, der jedoch nun knietief im Grabe seines verstorbenen Herrn stand. Er hatte fast alle seine Kleider abgeworfen, seine dünnen Arme und Schultern glänzten in Schweiß gebadet im Mondlicht, sein Gesicht war in ängstlicher Erwartung verzerrt, seine Schläge auf die Graberde tönten wie schwere Seufzer, und hinter ihm wiederholte und verzerrte sein Schatten die hastigen Bewegungen dieses Menschen, der sich von dem gefrorenen Boden eigenartig mißgestaltet und tiefschwarz abhob. Einige Nachtvögel flatterten hoch aus dem Gestrüpp, als wir uns näherten, und ließen sich dann nieder, aber Secundra, versunken in seine Arbeit, hörte und bemerkte uns nicht.
    Ich hörte Mountain Sir William zuflüstern: »Großer Gott, es ist das Grab! Er gräbt ihn aus!« Wir hatten es alle vermutet, und doch entsetzte es mich, als ich es in Worten ausgedrückt hörte. Sir William stürzte wütend nach vorn.
    »Du verfluchter hündischer Grabschänder!« schrie er. »Was soll das bedeuten?«
    Secundra flog in die Höhe, ein feiner hastiger Schrei entschlüpfte seiner Kehle, das Werkzeug fiel ihm aus den Händen, und er starrte den Sprecher einen Augenblick an. Im nächsten Augenblick floh er pfeilschnell den Wäldern auf der anderen Seite zu, aber gleich darauf warf er in einem verzweifelten Entschluß die Hände hoch und lief sofort zu uns zurück.
    »Gut, Ihr kommen, Ihr helfen ...«, sagte er. Aber inzwischen war der Lord neben Sir William getreten, der Mond schien voll in sein Gesicht, und die Wortewaren noch auf Secundras Lippen, als er den Erzfeind seines Herrn sah und erkannte. »Er!« kreischte er, rang die Hände und krümmte sich.
    »Kommt, kommt!« sagte Sir William. »Niemand wird Euch etwas zuleide tun, wenn Ihr unschuldig seid, und wenn Ihr schuldig seid, könnt Ihr uns doch nicht entfliehen. Sprecht, was tut Ihr hier unter den Gräbern der Gestorbenen und den Überresten der noch nicht Beerdigten?«
    »Ihr nicht Mörder?« fragte Secundra. »Ihr ehrlicher Mann? Ihr mich retten?«
    »Ich werde Euch retten, wenn Ihr unschuldig seid«, entgegnete Sir William, »ich habe es gesagt und sehe keinen Grund, warum Ihr daran zweifeln solltet.«
    »Hier alle Mörder!« schrie Secundra. »Darum! Er töten – Mörder«, er zeigte auf Mountain, »dort zwei bezahlen Mörder«, er wies auf den Lord und mich, »alle Verbrecher und Mörder! Oh! Ich euch sehen alle baumeln an Strick. Jetzt ich gehen retten den Sahib, er euch sehen baumeln an Strick. Der Sahib«, fuhr er fort und zeigte auf das Grab, »er nicht tot. Er begraben, er nicht tot.«
    Der Lord stieß einen kleinen Schrei aus, näherte sich dem Grabe, stand da und starrte hinein.
    »Begraben und nicht tot?« rief Sir William aus. »Was ist das für ein Unsinn!«
    »Seht, der Sahib«, sagte Secundra, »der Sahib und ich allein mit Mördern, alles versuchen zu entfliehen, nicht Ausweg. Dann versuchen dies Mittel: dies Mittelgut in warmes Klima, gutes Mittel in Indien, hier verdammt kalter Ort, wer kann wissen? Ich Euch bitten, viel Eile nötig, Ihr helfen, Ihr Feuer machen, helfen reiben!«
    »Wovon spricht dies Geschöpf?« rief Sir William. »Mein Verstand geht mit mir durch.«
    »Ich Euch sagen, ich ihn begraben lebendig«, sagte Secundra, »ich ihn lehren seine Zunge verschlingen. Jetzt rasch, rasch, ihn ausgraben, dann er nicht viel schlimm! Ihr machen ein Feuer!«
    Sir William wandte sich dem Nächststehenden zu. »Macht ein Feuer«, sagte er, »ich bin offenbar verurteilt, mich mit Verrückten herumzuschlagen.«
    »Ihr guter Mann«, erwiderte Secundra, »ich jetzt den Sahib ausgraben.«
    Während er redete, wandte er sich wieder dem Grabe zu und nahm seine Arbeit von neuem auf. Der Lord stand wie angewurzelt, und ich blieb an seiner Seite und fürchtete mich, ohne zu wissen wovor.
    Der Frost war noch nicht tief in den Boden eingedrungen, und bald warf der Inder sein Werkzeug beiseite und begann die Erde mit den Händen herauszuscharren. Dann legte er eine Ecke des Büffelfelles frei, darauf sah ich Haar zwischen seinen Fingern, und einen Augenblick später fiel das Mondlicht auf etwas Weißes. Eine Weile lag Secundra auf den Knien und kratzte vorsichtig mit
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