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Der Junker von Ballantrae

Titel: Der Junker von Ballantrae
Autoren: Robert Louis Stevenson
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oben bot er das entsetzliche und grauenhafte Schauspiel eines skalpierten Kopfes. Die Leute waren an jenem Morgen bleich wie eine Schar Gespenster, denn die Schrecken des Indianerkriegesoder besser gesagt des Indianermordes waren ihnen wohlbekannt. Aber sie führten die Hauptschuld darauf zurück, daß sie keine Wache ausgesetzt hatten, und da die Nachbarschaft des Schatzes sie besessen machte, entschlossen sie sich zu bleiben, wo sie waren. Pinkerton wurde ganz in der Nähe des Junkers begraben, die Überlebenden verbrachten den Tag wieder mit Suchen und kehrten in einer Stimmung zurück, die zwischen Angst und Hoffnung schwankte. Einerseits waren sie sicher, daß sie bald finden würden, was sie suchten, und andererseits kam die Angst vor den Indianern mit Einbruch der Dunkelheit wieder über sie. Mountain übernahm die erste Wache, er erklärte, daß er weder geschlafen noch sich niedergesetzt, sondern sorgfältig und aufmerksam achtgegeben habe. Ohne jeden Argwohn ging er zum Feuer, um seinen Nachfolger zu wecken,als er an den Sternen sah, daß seine Zeit verstrichen sei. Dieser Mann – es war der Schuhmacher Hicks – schlief auf der dem Winde abgewandten Seite des Feuers, etwas weiter weg von Mountain als die andern und an einem Platz, der durch den wallenden Rauch verdunkelt war. Mountain trat heran und faßte ihn an der Schulter. Sofort war seine Hand mit klebriger Feuchtigkeit beschmiert, und da der Wind in diesem Augenblick sich drehte und der Feuerschein auf den Schläfer fiel, zeigte es sich, daß er wie Pinkerton tot und skalpiert war.
    Es war klar, daß sie in die Hände eines jener unvergleichlich tollkühnen Indianer gefallen waren, die manchmal tagelang Reisenden folgen und trotz ermüdender Tagesmärsche und ruheloser Nächte den Weitermarsch mitmachen, um an jedem Lagerplatz einen Skalp zu erobern. Bei dieser Entdeckung verfielen die Schatzsucher, die bereits zu einem elenden halben Dutzend zusammengeschmolzen waren, der Verzweiflung, rafften einige notwendige Sachen zusammen, ließen ihre ganze übrige Habe im Stich und flohen in die Wälder. Das Feuer ließen sie brennen und ihren toten Kameraden unbeerdigt. Den ganzen Tag brachen sie die Flucht nicht ab, sie aßen unterwegs und lebten von der Hand in den Mund. Da sie einzuschlafen fürchteten, setzten sie auch in den Stunden der Dunkelheit ihre Wanderung auf gut Glück fort. Aber die Grenzen menschlicher Widerstandsfähigkeit sind bald erreicht. Als sie schließlich Rast machten, schliefen sie bald tief ein, und als sie aufwachten, mußten sie feststellen, daß ihnen der Feindnoch auf den Fersen sei: Tod und Verstümmelung hatten von neuem ihre Zahl gelichtet.
    Inzwischen hatten sie den Kopf verloren, sie konnten den Weg in der Wildnis nicht mehr finden, und ihre Vorräte gingen allmählich zu Ende. Es wäre überflüssig, diese Erzählung, die schon allzu lang geworden ist, durch den Bericht über die entsetzlichen Dinge, die sie erlebten, noch zu verlängern. Es mag genügen zu sagen, daß, als schließlich eine Nacht ungestört verflossen war und sie die Hoffnung hegen konnten, der Mörder habe die Verfolgung endlich aufgegeben, Mountain und Secundra allein übriggeblieben waren. Der Händler war fest davon überzeugt, daß der unsichtbare Feind ein Krieger seiner eigenen Bekanntschaft war, und daß er deshalb verschont blieb. Secundra wurde nach seiner Ansicht nicht getötet, weil man den Inder für irrsinnig halten mußte, und zwar aus folgenden Gründen: erstens weil Secundra mit einer Hacke auf dem Rücken vorwärts wankte, während die Schrecken der Flucht alle anderen veranlaßt hatte, selbst Nahrungsmittel und Waffen fortzuwerfen; und zweitens, weil er in den letzten Tagen mit großer Erregtheit und raschen Worten fortwährend in seiner eigenen Sprache zu sich selbst redete. Aber er war vernünftig genug, als er englisch zu sprechen begann.
    »Ihr denken, er gegangen ist ganz fort?« fragte er, als sie in Sicherheit und wie gesegnet erwachten.
    »Ich hoffe es zu Gott, ich glaube es, ich wage es zu glauben«, hatte Mountain in abgebrochenen Sätzen erwidert, wie er mir diese Szene beschrieb.
    Und wirklich war er so verwirrt, daß er kaum wußte, bevor er uns am nächsten Morgen traf, ob er geträumt habe, oder ob es Tatsache sei, daß Secundra sich daraufhin umgewandt habe und, ohne ein Wort zu sprechen, den Fußtapfen zurück gefolgt sei – das Gesicht gegen die winterliche und öde Einsamkeit gerichtet, einen Pfad entlang, dessen
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