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Der Junge im gestreiften Pyjama (German Edition)

Der Junge im gestreiften Pyjama (German Edition)

Titel: Der Junge im gestreiften Pyjama (German Edition)
Autoren: John Boyne
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Bruder in sein Zimmer, wo sie beinahe von Maria umgerannt wurde, die herausgestürmt kam und etwas in der Hand hielt, das einer toten Maus ähnelte.
    »Sie sind dort draußen«, sagte Bruno, der jetzt an seinem Fenster stand und hinausschaute. Er drehte sich nicht um, ob Gretel in seinem Zimmer war, denn er beobachtete gebannt die Kinder. Er vergaß sogar kurz, dass sie überhaupt da war.
    Gretel stand ein paar Schritte hinter ihm und wollte selbst unbedingt hinaussehen, aber etwas an der Art, wie Bruno es gesagt hatte, und an der Art, wie er hinaussah, ließ sie plötzlich nervös werden. Bruno hatte sie noch nie hereinlegen können, und sie war ziemlich sicher, dass er sie auch jetzt nicht hereinlegte, aber seine Haltung ließ sie irgendwie zweifeln, ob sie die Kinder wirklich sehen wollte. Sie schluckte nervös und betete insgeheim, dass sie in absehbarer Zukunft wieder nach Berlin zurückkehren würden und nicht erst in einem Monat, wie Bruno gesagt hatte.
    »Was ist?«, sagte er, drehte sich um und sah seine Schwester in der Tür stehen, die Puppe an sich gedrückt, ihre goldgelben Zöpfe lagen gleichmäßig auf jeder Schulter, als warteten sie, dass jemand daran zog. »Willst du sie nicht sehen?«
    »Doch natürlich«, erwiderte sie und ging zögernd zu ihm. »Mach mal Platz«, sagte sie und stieß ihn beiseite.
    Es war schön und sonnig an jenem ersten Nachmittag in Aus-Wisch, und gerade als Gretel aus dem Fenster blickte, tauchte die Sonne wieder hinter einer Wolke hervor, aber ihre Augen gewöhnten sich schnell an die Helligkeit, und dann verschwand die Sonne wieder und sie sah genau, wovon Bruno geredet hatte.

Kapitel vier

    Was sie durch das Fenster sahen
    Genau genommen waren es gar keine Kinder. Zumindest nicht alle. Es waren kleine Jungen und große Jungen, Väter und Großväter. Vielleicht auch ein paar Onkel. Und ein paar von den Leuten, wie es sie überall gibt und die allein wohnen, weil sie keine Verwandten haben. Sie waren jedermann.
    »Wer sind die Leute?«, fragte Gretel, und ihr stand vor Staunen der Mund offen, genau wie es bei Bruno in letzter Zeit oft der Fall war. »Was ist das für ein Ort?«
    »Ich bin mir nicht sicher«, sagte Bruno, und damit hielt er sich nah an der Wahrheit. »Aber er ist nicht sehr schön, so viel steht fest.«
    »Und wo sind die Mädchen?«, fragte Gretel. »Und die Mütter? Und die Großmütter?«
    »Vielleicht leben sie in einem anderen Teil«, meinte Bruno.
    Gretel stimmte zu. Eigentlich wollte sie nicht mehr auf die Menschen starren, aber es fiel ihr sehr schwer, den Blick abzuwenden. Bisher hatte sie nur den Wald vor ihrem Fenster gesehen, der ein bisschen dunkel wirkte, sich sonst aber gut für Picknicks eignete, sofern es irgendwo eine Lichtung gab. Von dieser Hausseite jedoch bot sich ein völlig anderer Ausblick.
    Dabei fing es zunächst gar nicht übel an. Direkt unter Brunos Fenster lag ein Garten. Ein ziemlich großer sogar und voller Blumen in hübschen ordentlichen Beeten, offenbar sehr sorgsam von jemandem gepflegt, dem die Bedeutung von Blumen an einem solchen Ort bewusst war – als würde man in einem riesigen Schloss, das in einem nebeligen Moor steht, in einer dunklen Winternacht eine kleine brennende Kerze in die Ecke stellen.
    Hinter den Blumen war ein sehr hübscher Gehweg mit einer Holzbank, und Gretel konnte sich gut vorstellen, dort in der Sonne zu sitzen und ein Buch zu lesen. Am oberen Ende der Bank war ein Schild angebracht, doch aus dieser Entfernung konnte sie die Aufschrift nicht lesen. Die Sitzfläche blickte auf das Haus – was unter normalen Umständen ziemlich ungewöhnlich gewesen wäre, aber in diesem Fall konnte sie den Grund verstehen.
    Ungefähr sechs Meter hinter dem Garten und den Blumen und der Bank mit dem Schild veränderte sich alles. Ein riesiger Drahtzaun, am oberen Ende nach innen gebogen, erstreckte sich über die ganze Länge des Hauses und verlief dann in beiden Richtungen weiter, als sie sehen konnte. Der Zaun war sehr hoch, höher noch als das Haus, in dem sie standen, und er wurde von großen aufgereihten Holzpfosten gestützt, die aussahen wie Telegraphenmasten. Oben auf dem Zaun befanden sich gewaltige, in Spiralen aufgerollte Stacheldrahtballen, und Gretel versetzte es unwillkürlich einen Stich, als sie die vielen scharfen Spitzen sah, die rundherum vorragten.
    Hinter dem Zaun wuchs kein Gras mehr, auch in der Ferne war nirgends Grün zu sehen. Vielmehr bestand der Boden aus einer sandähnlichen
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