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Der Junge im gestreiften Pyjama (German Edition)

Der Junge im gestreiften Pyjama (German Edition)

Titel: Der Junge im gestreiften Pyjama (German Edition)
Autoren: John Boyne
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herzurichten.«
    »Aus-Wisch?«, fragte Bruno. »Was ist ein Aus-Wisch?«
    »Es heißt nicht ein Aus-Wisch, Bruno«, sagte Gretel seufzend. »Nur Aus-Wisch.«
    »Na gut, aber was ist Aus-Wisch?«, wiederholte er. »Was auswischen?«
    »Das ist der Name des Hauses«, erklärte Gretel. »Aus-Wisch.«
    Bruno dachte darüber nach. Er hatte kein Schild mit einem Namen außen gesehen, und auch an der Haustür hatte nichts gestanden. Ihr Haus in Berlin hatte überhaupt keinen Namen, es hieß nur Nummer vier.
    »Und was bedeutet das?«, fragte er ungehalten. »Was auswischen?«
    »Na, die Leute, die vorher hier gelebt haben, nehme ich an«, sagte Gretel. »Vermutlich hängt es damit zusammen, dass sie keine gute Arbeit geleistet haben und jemand meinte, weg mit ihnen, holen wir einen Mann her, der es richtig macht.«
    »Du meinst Vater.«
    »Natürlich«, erwiderte Gretel, die immer von Vater redete, als könnte er nichts falsch machen und als würde er nie wütend werden und käme immer in ihr Zimmer, um ihr vor dem Einschlafen einen Gutenachtkuss zu geben. Natürlich gab er auch Bruno einen Gutenachtkuss, und wenn Bruno wirklich gerecht und nicht nur traurig über den Umzug gewesen wäre, hätte er das zugegeben.
    »Wir sind also hier in Aus-Wisch, weil jemand reinen Tisch mit den Leuten vor uns machen wollte?«
    »Genau, Bruno«, sagte Gretel. »Und jetzt steh von meiner Tagesdecke auf. Du zerknitterst sie.«
    Bruno sprang vom Bett und landete mit einem dumpfen Schlag auf dem Teppich. Das Geräusch gefiel ihm gar nicht. Es klang so hohl, und er nahm sich auf der Stelle vor, in diesem Haus nicht allzu oft herumzuhüpfen, weil ihnen sonst womöglich das Dach um die Ohren flog.
    »Mir gefällt es hier nicht«, sagte er ungefähr zum hundertsten Mal.
    »Das ist mir schon klar«, erwiderte Gretel. »Aber wir können nichts daran ändern, oder?«
    »Ich vermisse Karl, Daniel und Martin«, sagte Bruno.
    »Und ich vermisse Hilda, Isobel und Louise«, sagte Gretel, und Bruno überlegte, wer von den drei Mädchen die gemeine Ziege war.
    »Ich finde, die anderen Kinder sehen überhaupt nicht freundlich aus«, sagte Bruno, worauf Gretel unverzüglich aufhörte, eine ihrer schrecklicheren Puppen auf ein Regal zu pflanzen, sich umdrehte und ihn anstarrte.
    »Was hast du eben gesagt?«, fragte sie.
    »Ich sagte, die anderen Kinder sehen überhaupt nicht freundlich aus«, wiederholte er.
    »Die anderen Kinder?«, sagte Gretel verwirrt. »Welche anderen Kinder? Ich habe niemanden gesehen.«
    Bruno sah sich um. Es gab zwar ein Fenster, doch Gretels Zimmer lag auf der anderen Flurseite, gegenüber von seinem, und blickte deshalb in eine völlig andere Richtung. Er schlenderte lässig zum Fenster und gab sich möglichst geheimnisvoll. Dabei steckte er die Hände in die Taschen seiner kurzen Hose und pfiff ein ihm bekanntes Lied, ohne seine Schwester eines Blickes zu würdigen.
    »Bruno?«, fragte Gretel. »Was machst du da? Bist du verrückt geworden?«
    Pfeifend schlenderte er weiter und schaute sie auch weiterhin nicht an, bis er das Fenster erreichte, das zum Glück niedrig genug für ihn war, um hinauszusehen. Er warf einen Blick nach draußen und sah das Auto, in dem sie gekommen waren, dazu noch drei oder vier andere Fahrzeuge von Soldaten, die für seinen Vater arbeiteten; ein paar von ihnen standen rauchend herum und lachten über etwas, während sie nervös zum Haus blickten. Dahinter war die Auffahrt und dann kam ein Wald, der nur darauf wartete, erforscht zu werden.
    »Bruno, würdest du mir bitte erklären, was du mit der letzten Bemerkung gemeint hast?«, fragte Gretel.
    »Da drüben ist ein Wald«, erwiderte Bruno, ohne auf sie einzugehen.
    »Bruno!«, schnauzte Gretel ihn an und kam so schnell auf ihn zu, dass er vom Fenster zurückschreckte und sich an die Wand drückte.
    »Was?«, fragte er und tat, als wüsste er nicht, wovon sie redete.
    »Die anderen Kinder«, sagte Gretel. »Du hast gesagt, sie sehen überhaupt nicht freundlich aus.«
    »Tun sie auch nicht«, sagte Bruno. Er wollte nicht nach dem Äußeren gehen und andere beurteilen, ohne sie zu kennen, eine Sache, die Mutter ihm immer auszureden versuchte.
    »Aber welche anderen Kinder denn?«, fragte Gretel. »Wo sind sie?«
    Bruno lächelte, marschierte zur Tür und gab Gretel zu verstehen, ihm zu folgen. Sie stieß einen tiefen Seufzer aus und legte die Puppe aufs Bett, überlegte es sich dann wieder anders und hob sie auf, drückte sie an die Brust und folgte ihrem
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