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Der Junge im gestreiften Pyjama (German Edition)

Der Junge im gestreiften Pyjama (German Edition)

Titel: Der Junge im gestreiften Pyjama (German Edition)
Autoren: John Boyne
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erstarrte und konnte sich kurz nicht vom Fleck rühren. Mutter war noch unten, und das hieß, dass Vater dort drin war und vielleicht alles mitgehört hatte. Er beobachtete die Tür, wagte kaum zu atmen und überlegte fieberhaft, ob Vater womöglich gleich herauskommen und ihn mit nach unten nehmen würde, um ihm eine ernsthafte Standpauke zu halten.
    Die Tür öffnete sich noch weiter, und Bruno trat einen Schritt zurück. Eine Gestalt erschien, aber es war nicht Vater, sondern ein viel jüngerer Mann, der auch nicht so groß war wie Vater, aber er trug die gleiche Uniform, nur mit weniger Verzierungen an der Jacke. Er wirkte sehr ernst, und seine Mütze saß stramm auf dem Kopf. An den Schläfen konnte Bruno sehen, dass er sehr blondes Haar hatte, fast schon ein unnatürlicher Gelbton. Er trug eine Schachtel in den Händen und ging zur Treppe, blieb aber einen Augenblick stehen, als er sah, dass Bruno ihn beobachtete. Er musterte den Jungen von oben bis unten, als hätte er noch nie ein Kind gesehen und wäre nicht ganz sicher, was er mit einem anfangen sollte: es fressen, übersehen oder die Treppe hinunterwerfen. Stattdessen nickte er Bruno nur kurz zu und setzte dann seinen Weg fort.
    »Wer war das?«, fragte Bruno. Der junge Mann hatte so ernst und geschäftig gewirkt, dass Bruno davon ausging, er müsse ungemein wichtig sein.
    »Vermutlich einer von den Soldaten deines Vaters«, sagte Maria, die sich ganz gerade hingestellt hatte, als der junge Mann erschien, und ihre Hände wie zum Gebet vor sich hielt. Ihr Blick war starr auf den Boden gerichtet und nicht auf sein Gesicht, als befürchtete sie, in Stein verwandelt zu werden, wenn sie ihn direkt ansah; sie wurde erst wieder locker, als er weg war. »Wir werden sie noch rechtzeitig kennenlernen.«
    »Ich glaube, ich mag ihn nicht«, sagte Bruno. »Er war mir zu ernst.«
    »Dein Vater ist auch sehr ernst«, sagte Maria.
    »Ja, aber er ist Vater«, erklärte Bruno. »Väter müssen ernst sein. Es spielt keine Rolle, ob sie Gemüsehändler, Lehrer, Köche oder Kommandanten sind«, sagte er. Es waren alles Berufe, die ihm bekannte anständige und ehrbare Väter ausübten, über deren Tätigkeiten er schon tausendmal nachgedacht hatte. »Aber der Mann sah nicht aus wie ein Vater. Obwohl er sehr ernst war, das schon.«
    »Na ja, sie haben sehr ernste Aufgaben«, sagte Maria seufzend. »Jedenfalls denken sie das. Trotzdem würde ich mich an deiner Stelle von den Soldaten fernhalten.«
    »Aber was soll ich denn sonst hier tun«, sagte Bruno traurig. »Ich glaube sogar, außer Gretel gibt es hier keinen, mit dem ich spielen könnte, und das soll Spaß machen? Sie ist ein hoffnungsloser Fall.«
    Fast kamen ihm wieder die Tränen, aber er unterdrückte sie, denn vor Maria wollte er nicht wie ein Baby dastehen. Er sah sich im Zimmer um, ohne den Blick ganz vom Boden zu heben, und versuchte festzustellen, ob er etwas Interessantes finden könnte. Nichts. Zumindest fiel ihm nichts auf. Doch dann weckte etwas seine Aufmerksamkeit. In der Ecke gegenüber der Tür war ein Fenster in der Decke, das bis herunter in die Wand reichte, fast so wie das kleine Fenster im oberen Stockwerk in Berlin, nur nicht so hoch. Bruno betrachtete es und dachte, dass er vielleicht sogar hinaussehen konnte, ohne sich auf die Zehenspitzen stellen zu müssen.
    Langsam ging er zu dem Fenster und hoffte, dass er von dort vielleicht bis nach Berlin sehen konnte, bis zu seinem Haus und den Straßen in der Umgebung, zu den Tischen, an denen die Leute saßen und ihre schaumigen Getränke tranken und einander lustige Geschichten erzählten. Er ging langsam, weil er nicht enttäuscht werden wollte. Doch es war nur ein kleines Zimmer und der Weg zum Fenster nicht weit. Er presste das Gesicht an die Scheibe und sah, was draußen war, und als er diesmal große Augen machte und sein Mund ein erstauntes O formte, blieben seine Hände unten, denn bei dem Anblick wurde ihm ganz kalt und ängstlich zumute.

Kapitel drei

    Der hoffnungslose Fall
    Bruno war überzeugt, dass es weitaus sinnvoller gewesen wäre, wenn sie Gretel in Berlin zurückgelassen hätten, um das Haus zu hüten, weil sie eigentlich immer nur Ärger brachte. Tatsächlich war sie schon oft als Mädchen beschrieben worden, das von vornherein nur Ärger gemacht hatte.
    Gretel war drei Jahre älter als Bruno und hatte ihm, seit er zurückdenken konnte, klargemacht, dass sie bestimmte, wie alles zu laufen hatte, besonders wenn es um Dinge ging, die sie
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