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Der Junge im gestreiften Pyjama (German Edition)

Der Junge im gestreiften Pyjama (German Edition)

Titel: Der Junge im gestreiften Pyjama (German Edition)
Autoren: John Boyne
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einer ruhigen Straße befunden, in der noch eine Handvoll anderer großer Häuser stand, die immer einen schönen Anblick boten, weil sie nicht ganz, aber fast genauso aussahen wie sein Haus und weil andere Jungen in ihnen wohnten, mit denen er spielte (wenn sie Freunde waren) oder von denen er sich fernhielt (wenn sie Ärger versprachen). Das neue Haus dagegen stand ganz allein auf einem leeren, trostlosen Gelände, auf dem keine anderen Häuser in Sicht waren, und das hieß, es wohnten keine anderen Familien in der Nähe und auch keine Jungen zum Spielen – weder Freunde noch solche, die Ärger versprachen.
    Das Haus in Berlin war gewaltig, und obwohl er dort neun Jahre lang gewohnt hatte, fand er immer noch Ecken und Winkel, die noch nicht ganz erforscht waren. Es gab sogar ganze Zimmer – beispielsweise Vaters Büro, das zu betreten jederzeit und ausnahmslos verboten war –, in die er kaum einen Fuß gesetzt hatte. Das neue Haus jedoch hatte nur drei Stockwerke: ein oberes, in dem sich alle drei Schlafzimmer und nur ein Bad befanden, das Erdgeschoss mit einer Küche, einem Esszimmer und einem neuen Büro für Vater (für das vermutlich dieselben Beschränkungen galten wie für das alte) und einen Keller, in dem die Dienstboten schliefen.
    Das Haus in Berlin war umgeben von anderen Straßen mit großen Häusern, und wenn man zu Fuß ins Stadtzentrum ging, waren immer Leute unterwegs, die stehen blieben und miteinander plauderten, oder die herumrannten und sagten, sie hätten keine Zeit stehen zu bleiben, nicht heute, nicht wenn sie tausend Sachen zu erledigen hatten. Es gab Geschäfte mit hell erleuchteten Schaufenstern, Obst- und Gemüsestände mit Ablagen, auf denen sich Kohlköpfe, Karotten, Blumenkohl und Mais türmten. Manche quollen über von Lauch und Pilzen, Steckrüben und Rosenkohl; auf anderen lagen Salatköpfe, grüne Bohnen und Pastinaken. Manchmal fand er es schön, vor den Ständen zu stehen und die Augen zu schließen, die unterschiedlichen Düfte einzuatmen und zu spüren, wie ihm ganz schwindelig wurde von den vielen süßen und lebendigen Aromen. Rund um das neue Haus jedoch gab es keine anderen Straßen, keine Menschenseele war unterwegs oder eilte durch die Gegend, und Geschäfte oder Obst- und Gemüsestände gab es schon gar nicht. Wenn er die Augen schloss, fühlte sich alles um ihn herum leer und kalt an, als befände er sich am einsamsten Ort der Welt. Mitten im Niemandsland.
    In Berlin hatten Tische an den Straßen gestanden, und manchmal, wenn er mit Karl, Daniel und Martin von der Schule nach Hause ging, saßen dort Männer und Frauen, die schäumende Getränke tranken und laut lachten; die Leute an den Tischen schienen immer gute Laune zu haben, dachte er oft, denn ganz gleich was sie sagten, jemand lachte immer. Das neue Haus dagegen hatte etwas an sich, das in Bruno den Verdacht schürte, dass dort nie jemand lachte, weil es dort nichts zu lachen gab und nichts, worüber man sich freuen konnte.
    »Ich glaube, das war eine schlechte Idee«, sagte Bruno ein paar Stunden nach ihrer Ankunft, während Maria oben seine Koffer auspackte. (Maria war nicht das einzige Dienstmädchen in dem neuen Haus: es gab noch drei andere, die ziemlich dünn waren und sich immer nur im Flüsterton unterhielten. Dann war da noch ein alter Mann, der, so erklärte man ihm, jeden Tag das Gemüse putzte und ihnen das Essen servierte; er sah sehr unglücklich aus, aber auch ein bisschen verärgert.)
    »Es ist nicht unsere Aufgabe, dies zu beurteilen«, sagte Mutter und öffnete einen Karton, der einen Satz von vierundsechzig Gläsern enthielt, den Großvater und Großmutter ihr geschenkt hatten, als sie Vater heiratete. »Ein gewisser Jemand trifft alle Entscheidungen für uns.«
    Bruno wusste nicht, was sie damit meinte, und ignorierte deshalb ihre Bemerkung. »Ich glaube, das war eine schlechte Idee«, wiederholte er. »Ich glaube, wir sollten das Ganze hier vergessen und gleich wieder nach Hause fahren. Wir können es als Erfahrung verbuchen«, setzte er hinzu, eine Wendung, die er vor kurzem gelernt hatte und so oft wie möglich verwenden wollte.
    Mutter lächelte und stellte vorsichtig die Gläser auf den Tisch. »Ich habe noch eine Wendung für dich«, sagte sie. »Sie lautet: Aus einer schlimmen Situation muss man immer das Beste machen.«
    »Also, ich bin mir nicht sicher, ob wir das tun sollten«, sagte Bruno. »Ich finde, du solltest Vater einfach sagen, dass du es dir anders überlegt hast, und na
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