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Der Junge im gestreiften Pyjama (German Edition)

Der Junge im gestreiften Pyjama (German Edition)

Titel: Der Junge im gestreiften Pyjama (German Edition)
Autoren: John Boyne
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Geschichten darüber erzählten, um wie viel besser doch alles früher in ihrer Kindheit war und welchen Respekt sie vor Älteren gehabt hatten, ganz anders als die Kinder heutzutage. Er hatte gedacht, alle Jungen und Mädchen wären in verschiedene Gruppen eingeteilt und würden Tennis oder Fußball spielen, herumhüpfen und Quadrate für Himmel und Hölle auf den Boden zeichnen.
    Er hatte gedacht, in der Mitte wäre ein Laden und vielleicht ein kleines Café wie die, die er aus Berlin kannte. Und er hatte sich gefragt, ob es wohl auch einen Obst- und Gemüsestand geben würde.
    Wie sich herausstellte, war alles, was er sich vorgestellt hatte – nicht vorhanden.
    Da waren keine Erwachsenen, die in Schaukelstühlen auf Veranden saßen.
    Und die Kinder spielten nicht in Gruppen.
    Und es gab nicht nur keinen Obst- und Gemüsestand, sondern auch kein Café, wie er es aus Berlin kannte.
    Stattdessen saßen viele Menschen in Gruppen zusammen, starrten auf den Boden und sahen entsetzlich traurig aus. Alle hatten sie eines gemeinsam: Sie waren schrecklich dünn, ihre Augen waren eingesunken und sie hatten alle kahlgeschorene Köpfe, woraus Bruno schloss, dass wohl auch hier eine Läuseepidemie ausgebrochen war.
    In einer Ecke sah Bruno drei Soldaten, die offenbar eine Gruppe von rund zwanzig Männern überwachten. Sie brüllten sie an, einige der Männer waren auf die Knie gesunken, verharrten in dieser Stellung und hielten sich den Kopf mit den Händen.
    In einer anderen Ecke sah er noch mehr Soldaten herumstehen und lachen. Sie zielten über den Lauf ihrer Gewehre in beliebige Richtungen, feuerten aber nicht ab.
    Wohin er auch sah, konnte er zwei Gruppen von Menschen unterscheiden: entweder glückliche, lachende, schreiende Soldaten in Uniformen; oder unglückliche, weinende Menschen in gestreiften Anzügen, von denen die meisten vor sich hinstarrten, fast so als würden sie schlafen.
    »Ich glaube, mir gefällt es hier nicht«, sagte Bruno nach einer Weile.
    »Mir auch nicht«, erwiderte Schmuel.
    »Ich glaube, ich sollte zurückgehen«, sagte Bruno.
    Schmuel blieb stehen und starrte ihn an. »Aber, Papa«, erinnerte er ihn. »Du hast gesagt, du willst mir helfen, ihn zu suchen.«
    Bruno überlegte. Er hatte es seinem Freund versprochen und er gehörte nicht zu denen, die einen Rückzieher machten, zumal sie sich an diesem Nachmittag zum letzten Mal sahen. »Gut«, sagte er, obwohl ihm inzwischen viel mulmiger zumute war als vorher. »Aber wo sollen wir suchen?«
    »Du hast gesagt, wir müssen Spuren finden«, meinte Schmuel, der ganz besorgt war, weil er sich fragte, wenn Bruno ihm nicht suchen half, wer dann?
    »Spuren, genau«, sagte Bruno und nickte. »Du hast recht. Sehen wir uns ein bisschen um.«
    Bruno hielt also sein Wort, und die beiden Jungen suchten im Lager anderthalb Stunden lang nach Spuren. Sie waren nicht sicher, wonach sie suchten, aber Bruno behauptete die ganze Zeit, ein guter Forscher wisse genau, wenn er es fand.
    Doch sie fanden nichts, was ihnen einen Hinweis auf das Verschwinden von Schmuels Papa geliefert hätte, und es wurde immer dunkler.
    Bruno blickte in den Himmel, es sah wieder nach Regen aus. »Tut mir leid, Schmuel«, sagte er schließlich. »Tut mir leid, dass wir keine Spur gefunden haben.«
    Schmuel nickte traurig. Eigentlich war er nicht überrascht. Er hatte nicht wirklich mit einem Ergebnis gerechnet. Trotzdem war es schön gewesen, dass sein Freund sehen konnte, wie er lebte.
    »Ich glaube, ich sollte jetzt nach Hause gehen«, sagte Bruno. »Willst du mich noch zum Zaun bringen?«
    Schmuel setzte zu einer Antwort an, doch im selben Moment ertönte ein lauter Pfiff, und zehn Soldaten – mehr als Bruno jemals an einem Ort zusammen gesehen hatte – umkreisten einen Teil des Lagers, auch die Stelle, an der Bruno und Schmuel standen.
    »Was passiert jetzt?«, flüsterte Bruno. »Was geht hier vor?«
    »Das kommt manchmal vor«, sagte Schmuel. »Sie zwingen die Leute zu einem Marsch.«
    »Zu einem Marsch!«, sagte Bruno empört. »Ich kann nicht auf einen Marsch. Ich muss pünktlich zum Essen zu Hause sein. Heute Abend gibt es Rinderbraten.«
    »Pst!«, sagte Schmuel und legte einen Finger auf seine Lippen. »Sei still, sonst werden sie wütend.«
    Bruno runzelte die Stirn, war jedoch erleichtert, dass sich jetzt alle Leute in gestreiften Anzügen aus diesem Teil des Lagers versammelten, die meisten wurden von den Soldaten zusammengetrieben, so dass er und Schmuel mitten in der Menge
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