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Der Junge im gestreiften Pyjama (German Edition)

Der Junge im gestreiften Pyjama (German Edition)

Titel: Der Junge im gestreiften Pyjama (German Edition)
Autoren: John Boyne
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gewaschen worden?«, rief er, worauf Schmuel sich wieder seinem Freund zuwandte.
    »Ich weiß nicht, ob sie überhaupt jemals gewaschen worden ist«, sagte Schmuel.
    »Dreh dich um!«, rief Bruno, und Schmuel gehorchte. Bruno sah wieder nach rechts und nach links, doch es war niemand zu sehen, und so widmete er sich der schwierigen Aufgabe, seine Hose auszuziehen und dabei ein Bein und einen Stiefel auf dem Boden zu lassen. Es war seltsam, sich im Freien die Hose auszuziehen, und er konnte sich gar nicht vorstellen, was jemand denken würde, wenn er ihn dabei beobachten würde, aber am Ende und unter großer Anstrengung schaffte er es.
    »Gut«, sagte er. »Du kannst dich jetzt wieder umdrehen.«
    Schmuel drehte sich gerade um, als Bruno sich fertig anzog und die gestreifte Stoffmütze aufsetzte. Er blinzelte und schüttelte den Kopf. Es war wirklich unglaublich. Obwohl Bruno nicht annähernd so dünn war wie die Jungen auf seiner Seite des Zauns und auch längst nicht so blass, hätte man ihn kaum von ihnen unterscheiden können. Es war fast (dachte Schmuel), als wären sie alle gleich.
    »Weißt du, woran mich das Ganze erinnert?«, fragte Bruno, und Schmuel schüttelte den Kopf.
    »Woran?«, fragte er.
    »An Großmutter«, sagte er. »Weißt du noch, ich hab dir von ihr erzählt? Die, die gestorben ist.«
    Schmuel nickte. Er erinnerte sich, weil Bruno sie im Lauf des Jahres oft erwähnt und ihm erzählt hatte, wie gern er sie mochte und wie sehr er bedauerte, sich nicht mehr Zeit genommen und ihr öfter einen Brief geschrieben zu haben, bevor sie starb.
    »Das Ganze erinnert mich an die Stücke, die sie immer mit Gretel und mir aufgeführt hat«, sagte Bruno und wandte sich zur Seite, als er sich an jene Zeit in Berlin entsann, die zu den wenigen Erinnerungen gehörten, die nicht verblassten. »Es erinnert mich daran, dass sie immer das richtige Kostüm für mich hatte. Mit den richtigen Kleidern fühlst du dich wie die Person, die du vorgibst zu sein , sagte sie immer zu mir. Genau das mache ich jetzt, nicht? Ich gebe vor, eine Person auf der anderen Zaunseite zu sein.«
    »Ein Jude, meinst du«, sagte Schmuel.
    »Ja«, sagte Bruno und trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. »Das stimmt.«
    Schmuel zeigte auf Brunos Füße und die schweren Stiefel, die er anhatte. »Die musst du auch hierlassen«, sagte er.
    Bruno sah empört aus. »Aber der Schlamm«, sagte er. »Du kannst nicht erwarten, dass ich barfuß gehe.«
    »Sonst erkennt man dich«, sagte Schmuel. »Du hast keine andere Wahl.«
    Bruno seufzte, aber da er wusste, dass sein Freund recht hatte, zog er Stiefel und Socken aus und ließ sie neben dem Kleiderhaufen auf der Erde zurück. Die ersten Schritte mit den bloßen Füßen im tiefen Schlamm fühlten sich schrecklich an. Er versank bis zu den Knöcheln, und jedes Mal, wenn er einen Fuß hob, wurde es schlimmer. Mit der Zeit jedoch gefiel es ihm zunehmend besser.
    Schmuel griff nach unten und hob das Zaunende hoch, doch es ließ sich nur bis zu einem bestimmten Punkt heben, sodass Bruno nichts anderes übrig blieb, als sich unten durchzuwälzen und seinen gestreiften Anzug völlig mit Schlamm zu beschmutzen. Er musste lachen, als er an sich hinabblickte. So dreckig war er in seinem ganzen Leben noch nicht gewesen, aber es fühlte sich herrlich an.
    Schmuel musste ebenfalls lächeln, und sie standen einen Augenblick verlegen da, denn es war für beide ungewohnt, auf der gleichen Seite des Zauns zu sein.
    Bruno hätte Schmuel gern umarmt, nur um ihm zu zeigen, wie sehr er ihn mochte und wie gern er sich mit ihm im vergangenen Jahr unterhalten hatte.
    Schmuel hätte Bruno auch gern umarmt, nur um ihm für die vielen Freundlichkeiten und mitgebrachten Lebensmittel zu danken, vor allem aber für das Angebot, ihm bei der Suche nach seinem Papa zu helfen.
    Aber keiner der beiden umarmte den anderen, vielmehr entfernten sie sich langsam vom Zaun und gingen zum Lager, ein Weg, den Schmuel seit nunmehr einem Jahr fast täglich zurückgelegt hatte, wenn er den Blicken der Soldaten entkommen und zum einzigen Teil in Aus-Wisch gelangt war, der offenbar nicht ständig bewacht wurde, dem Ort, an dem er glücklicherweise Bruno getroffen hatte.
    Es dauerte nicht lange, bis sie am Ziel waren. Bruno staunte mit großen Augen über alles, was er sah. In seiner Vorstellung hatte er gedacht, in den Baracken würden lauter glückliche Familien wohnen, von denen einige abends im Freien auf Schaukelstühlen saßen und
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