Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Junge im gestreiften Pyjama (German Edition)

Der Junge im gestreiften Pyjama (German Edition)

Titel: Der Junge im gestreiften Pyjama (German Edition)
Autoren: John Boyne
Vom Netzwerk:
verborgen und nicht zu sehen waren. Er wusste nicht, warum alle so ängstlich aussahen – so schrecklich war ein Marsch letztendlich auch wieder nicht – und er hätte ihnen gern zugeflüstert, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchten, weil Vater der Kommandant war, und wenn er sie auf einen Marsch schicken wollte, war das sicherlich nicht schlimm.
    Die Pfiffe ertönten erneut, und diesmal setzte sich die Menschenmenge, die vermutlich um die hundert Leute umfasste, langsam in Bewegung – Bruno und Schmuel befanden sich nach wie vor zusammen in der Mitte. Im hinteren Teil kam es zu leichten Unruhen, weil einige offenbar nicht mitmarschieren wollten, aber Bruno war zu klein und konnte nicht sehen, was dort vor sich ging. Er hörte nur einen Höllenlärm, so als würden Gewehrschüsse abgefeuert, aber genau konnte er es nicht ausmachen.
    »Müssen wir lange marschieren?«, flüsterte er, weil er allmählich ziemlichen Hunger hatte.
    »Vermutlich nicht«, sagte Schmuel. »Man sieht die Leute nie, nachdem sie marschiert sind. Aber ich denke, es dauert nicht lange.«
    Bruno überlegte. Er blickte in den Himmel und hörte wieder lauten Lärm, doch diesmal war es Donner. In Sekundenschnelle wurde der Himmel noch dunkler, fast schwarz, und der Regen prasselte stärker nieder als am Morgen. Bruno schloss kurz die Augen und spürte Nässe an sich hinabströmen. Als er sie wieder öffnete, marschierte er nicht, sondern wurde eher von der Menschenmenge mitgetragen. Schlamm bedeckte seinen ganzen Körper, der gestreifte Anzug klebte nass auf seiner Haut. Er wollte nur noch nach Hause und alles aus der Ferne beobachten, aber nicht mitten in der Menge sein.
    »Mir reicht’s«, sagte er zu Schmuel. »Ich hole mir noch eine Erkältung. Ich muss nach Hause.«
    Doch gerade als er das sagte, trugen ihn seine Füße ein Stück weiter, und im Weitergehen stellte er fest, dass es nicht mehr regnete, weil alle nacheinander in einen langen, erstaunlich warmen Raum drängten, der offenbar sehr stabil gebaut war, weil nirgendwo Regen durchdrang. Im Grunde wirkte er sogar vollkommen luftdicht.
    »Na, das tut gut«, sagte er und freute sich, wenigstens ein paar Minuten dem Gewitter entkommen zu sein. »Ich nehme an, wir müssen hier warten, bis es nachlässt, dann kann ich nach Hause.«
    Schmuel schmiegte sich ganz dicht an Bruno und sah verängstigt zu ihm hoch.
    »Tut mir leid, dass wir deinen Papa nicht gefunden haben«, sagte Bruno.
    »Schon gut«, erwiderte Schmuel.
    »Und mir tut leid, dass wir nicht zum Spielen gekommen sind, aber wenn du nach Berlin kommst, fangen wir sofort an. Dann stelle ich dir meine ... Oh, wie hießen sie nochmal?«, fragte er sich selbst und war enttäuscht, weil sie eigentlich seine drei allerbesten Freunde, aber völlig aus seinem Gedächtnis verschwunden waren. Er konnte sich weder an ihre Namen erinnern, noch sah er ihre Gesichter vor sich.
    »Eigentlich«, sagte er und blickte zu Schmuel, »ist es egal, ob ich sie dir vorstelle oder nicht. Inzwischen sind sie nicht mehr meine besten Freunde.« Er sah nach unten und machte etwas für ihn sehr Ungewöhnliches: Er nahm Schmuels dünne Hand in die seine und drückte sie fest.
    »Du bist mein bester Freund, Schmuel«, sagte er. »Mein bester Freund für immer.«
    Vielleicht öffnete Schmuel den Mund, um ihm zu antworten, aber Bruno hörte es nicht mehr, denn im selben Augenblick kam ein Aufschrei von allen Marschierenden im Raum, als die Eingangstür geschlossen wurde und ein lautes metallisches Geräusch von außen hereindrang. Bruno hob eine Augenbraue und verstand überhaupt nichts, aber er nahm an, dass es wohl damit zu tun hatte, den Regen nicht hereinzulassen und die Menschen vor einer Erkältung zu schützen.
    Dann wurde es sehr dunkel im Raum, und trotz des darauffolgenden Chaos merkte Bruno, dass er Schmuels Hand immer noch festhielt und ihn nichts auf der Welt dazu bewegen konnte, sie loszulassen.

Kapitel zwanzig

    Letztes Kapitel
    Danach hörte niemand mehr etwas von Bruno.
    Ein paar Tage später, nachdem die Soldaten jeden Winkel im Haus durchsucht und mit Fotos in allen umliegenden Ortschaften und Dörfern nach dem kleinen Jungen gefragt hatten, entdeckte einer von ihnen den Kleiderhaufen und das Stiefelpaar, das Bruno am Zaun zurückgelassen hatte. Der Soldat ließ sie unberührt dort liegen und ging den Kommandanten holen, der die Umgebung untersuchte und nach rechts und nach links blickte, genau wie Bruno immer, aber er konnte um alles in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher