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Der junge Häuptling

Der junge Häuptling

Titel: Der junge Häuptling
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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fraglichen Zeit!« Joe Brown bot dem Indianer eine Zigarre an. Dieser nahm sie bereitwillig. Er wollte sie aber nicht zum Brennen bringen, und er lehnte es auch ab, sich zu setzen, als er nachträglich aufgefordert wurde, Platz zu nehmen.
    »Wie du willst«, sagte der Ingenieur, etwas ärgerlich über sich selbst, weil er einsah, daß er diesen Indianer unterschätzt hatte.
    »Ich suche Henry Henry. Der Name ist dir bekannt?«
    »Ja.«
    »Henry ist im vergangenen Frühjahr verschwunden. Einer seiner Scouts soll in Wahrheit ein Dakotahäuptling mit Namen Tokei-ihto gewesen sein.«
    »Ja.«
    »Ob das mit dem Überfall auf die Munitionskolonne zusammenhängt, deren Kommen Henry Henry am Niobrara hatte ankündigen wollen?«
    »Ja.«
    »Was weißt du Näheres?«
    »Nichts.«
    »Weißt du überhaupt etwas?«
    »Ich glaube, daß Henry tot ist.«
    »Hast du seine Leiche gesehen?«
    »Vielleicht.«
    »Warum konntest du ihn nicht sicher erkennen?«
    »Von Kojoten und Aasgeiern zerfressen.«
    Joe Brown verbarg seine Bewegung. »Skalpiert?«
    »Nein.«
    »Das also nicht.«
    »Nein.«
    Die Zigarre ging Joe Brown aus. Er legte sie in den Aschenbecher.
    Schließlich fragte er: »Tobias, wo kann es noch einen lebenden Menschen geben, der nicht nur etwas Sicheres über Henry weiß, sondern mir auch darüber Auskunft gibt?«
    »Nirgends.«
    »Wer hat den Überfall auf die Kolonne damals angeführt?«
    »Der Kriegshäuptling der Bärenbande, den die weißen Männer als ihren Scout früher Harry oder auch Jack genannt haben. Bei den Dakota trug er den Namen Tokei-ihto.«
    »Harry? Scout? Dakota?« Joe Brown fuhr in die Höhe.
    »Den kenne ich doch gut, und Ihr habt ihn auch gekannt, Morris, als er noch blutjung und Scout bei der Bahn war. Er hat mir sogar einmal das Leben gerettet. Aber dann …«
    »… dann hat Red Fox Harrys Vater Mattotaupa ermordet!«
    »Harry selbst lebt auch nicht mehr?«
    »Auch er wurde ermordet«, erzählte Morris. »Nach dem Tod seines Vaters kehrte er zu seinem Stamm zurück. Als Unterhändler für seine Stammesabteilung kam er im Frühjahr zu Verhandlungen auf das Fort am Niobrara. Dort wurde er auf das Betreiben des Red Fox verräterisch gefangengenommen und im Keller totgeschlagen. Nun hat Red Fox die Blutrache des Sohnes nicht mehr zu fürchten.«
    »Verfluchte Schweinerei!« Der Ton des Ausrufs verriet, daß Joe ehrlich empört war.
    Tobias, der Delaware, schaute nach den Worten des Ingenieurs die drei Männer, vor denen er stand, unter verdeckten Lidern der Reihe nach prüfend an. Dann fragte er: »Nicht gut gewesen, daß euer Feind Harry Tokei-ihto verraten, gefangen und totgeprügelt wurde?«
    »Gut?« Morris’ Schläfenadern traten blau hervor. »War ein Verrat an einem Unterhändler und ein gemeiner Mord an einem Gefangenen je gut? Der Zweck heiligt die Mittel nicht!«
    Tobias wechselte einen eigentümlich schwermütigen, langen Blick mit Langspeer, dem Cheyenne, und bemerkte dann, scheinbar ohne Zusammenhang: »Capt’n Roach sehr strenger Capt’n.«
    »Eine schmierige Figur ist er«, urteilte Morris. »Das hat sein Verhalten gegen Major Smith bewiesen. Er hat diesen Ehrenmann ruiniert und geradezu in den Tod getrieben. Wieviel menschliche Tragödien in den letzten beiden Jahren – aber die Aktien steigen wieder!« Tobias machte mit einer leichten Bewegung wieder auf sich aufmerksam.
    »Hast du noch eine Frage an mich?« forschte Morris daraufhin.
    »Ja. Ihr glaubt also nicht, daß die weißen Männer immer gerecht sind?«
    »Viel häufiger sind wir ungerecht, leider.«
    »Manchmal ungerecht«, bestätigte Tobias. »Und gar nicht aufmerksam.«
    »Eure Augen und Ohren haben wir natürlich nicht. Wie kommst du jetzt darauf?«
    »Harry Tokei-ihto lebt noch.«
    »Was?«
    »Ja.«
    »Wo? Wie ist das möglich?«
    »Im Keller.«
    »Aber das müßte man doch wissen! Wie geht das zu? Es klingt unglaublich! Erzähle!«
    »Seine Krieger wollten ihn befreien. Als gekämpft wurde, sprangen im Auftrag des Red Fox zwei Rauhreiter in den Keller hinunter. Als wir nach dem Kampf in den Keller gingen, lag Tokei-ihto in seinem Blut, und alle dachten, er sei tot. Das hat einer von uns, ein Rauhreiter Thomas, der dann mit seinem Bruder und mit Adam Adamson zusammen entflohen ist, auch den Dakota erzählt. Thomas und Theo und der junge Adams kamen von derselben Farm, sie hielten zusammen, sie hielten zu Smith, und sie wollten Tokei-ihto helfen, dem Smith freies Geleit verbürgt hatte. Als sie bei Roach in Verdacht
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