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Der junge Häuptling

Der junge Häuptling

Titel: Der junge Häuptling
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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vorging. Hapedah erlebte alles mit, was nun im Tipi geschah. Schonka hatte Uinonah und Mongschongschah ins Auge gefaßt.
    »Aufstehen!« schrie er sie an, nachdem der Weiße ihm dieses Wort auf englisch vorgekreischt hatte.
    Die Frauen erhoben sich.
    »Das Zelt wird durchsucht!«
    Die Frauen blieben stumm.
    »Wo habt ihr Tschetansapa versteckt, diesen Verräter und Mörder? Wir verhaften ihn! Er wird gehängt! Rotflügel ist an dem Messerstich des Aufrührers gestorben!«
    Die Frauen schwiegen.
    Die Lagerpolizisten begannen, die Decken vom Boden aufzunehmen und umherzuwerfen.
    »Oh!« sagte Schonka und ging auf Uinonah zu. »Du hältst dir die Füße gut warm! Geh weg von diesem Bärenfell!«
    Uinonah trat drei Schritte beiseite und gab das zusammengeschlagene Fell frei. Der Weiße schlug mit Schonkas Hilfe das schwere graue Fell auseinander. Hapedah sah jetzt zum erstenmal, was darin gelegen hatte: eine lange heilige Pfeife, wie sie vor Beginn des Gastmahls beim Häuptling herumgereicht worden war, ein Adlerfederschmuck, ein unfertiger Büffelpelzrock, die Teile für Pelzmokassins und die Rahmen für Schneereifen.
    Schonkas Gesicht und die Mienen des kleinen Mannes mit der keifenden Stimme verzogen sich zum Spott.
    »Wollt ihr Tschetansapa einkleiden?«
    Weder Schonka selbst noch einer der anderen vier Indianer nahmen an, daß die Frauen antworten würden. Nur der Weiße wartete darauf.
    Aber die Frauen blieben stumm.
    »Wo ist Tschetansapa?« Die Stimme des Weißen überschlug sich. Sie kam aus einem nicht von Strapazen, sondern von Lastern ausgezehrten Körper.
    Die Frauen blieben stumm.
    Schonka packte Hapedah wieder an der Schulter und schob ihn vor seine Mutter hin.
    »Da, den kleinen Kojoten nehme ich mit, wenn du mir nicht sagst, für wen du den Rock nähst!«
    Mongschongschah zitterte. »Ich nähe den Rock nicht.«
    »Du nähst ihn nicht?« Schonka ließ Hapedah los und trat vor Uinonah.
    »Du nähst ihn also!« Er schob das Kinn vor. Der Weiße hatte sich des Rockes bemächtigt. »Hau.
    Ich nähe ihn«, sagte Uinonah mit ihrer neuen, fremden, klanglosen Stimme, und alle waren überrascht, daß sie sprach.
    »Und du willst Schneereifen spannen?«
    »Hau. Ich werde sie spannen.«
    »Und du machst Mokassins?«
    »Hau. Ich mache Mokassins.«
    »Und du bist die schleichende Wölfin, die diesem Tschetansapa auf solche Weise zu leben hilft?«
    »Nein.«
    Der Weiße verlor den Rest seiner Fähigkeit abzuwarten.
    »Schlag doch den Weibern ins Gesicht! Schlag sie doch zusammen, die Brut! Die Lügenbrut! Was quatscht das schmutzige Weib? Für wen macht sie den Rock?«
    »Für wen nähst du den Rock?« schrie Schonka Uinonah nochmals an.
    »Für Tokei-ihto.«
    Schonka fuhr zurück und betrachtete das Mädchen mißtrauisch.
    »Bist du besessen?«
    Uinonah schwieg.
    »Für wen nähst du den Rock?«
    »Ich habe es dir gesagt.«
    »Du lügst! Der, von dem du sprichst, der ist längst stinkendes Aas!«
    »Ich habe ihn gesprochen.«
    Schonka wich noch einen Schritt zurück. »Lüge nicht so frech!«
    Er zerrte Hapedah herbei. »Wenn ihr Weiber Tschetansapa helft, dann bringe ich diesen kleinen Kojoten um! Verstehst du?«
    Mongschongschah schrie auf wie ein verwundetes Tier.
    »Mein Kind!«
    »Verstehst du?« Schonka ging wieder einen Schritt gegen Uinonah vor.
    Uinonah schwieg.
    »Dein Bruder ist krepiert und verscharrt! Verstehst du?«
    »Ich habe ihn gesprochen.«
    Schonka schien verwirrt.
    Der Weiße war aufgebracht.
    »Schluß hier!« rief er Schonka zu. »Wirst du mit dem Frauenzimmer nicht fertig? Da muß ich wohl selbst eingreifen. Mein Name ist Lewis, und ich habe beim Zirkus Myers gelernt, rote Schweine zu treiben.«
    Uinonah trat auf den Mann zu, und ohne daß er wußte wie, war ihm der Fellrock aus der Hand gewunden. Das Mädchen legte den Rock auf das Bärenfell und ließ sich darauf nieder.
    »Ihr seid Diebe!« sagte sie zu Schonka und zu dem Mann, der Lewis hieß. »Der Rock gehört Tokeiihto!«
    Der Weiße schaute auf den Indianer. »Fünf Bewaffnete gegen ein solches Weibsstück, und das Weibsstück siegt!« Er wollte lachen, pfiff aber nur. »Einer ist hier verrückt, die Weibsperson da oder du!«
    »Das Weib«, sagte Schonka. »Sie ist wahnsinnig geworden. Sie kann auch zaubern, die Hexe!«
    »Die!« Der Weiße trat vor, blieb stehen und erschrak plötzlich selbst. Die starren Augen Uinonahs hatten sich auf ihn gerichtet. Er wich langsam zurück, bis er schräg hinter Schonka stand und sich von diesem
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