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Der junge Häuptling

Der junge Häuptling

Titel: Der junge Häuptling
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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herrschte die Aufbruchsstimmung nach getaner Arbeit. In einem Raum, der für die Verhältnisse des Forts komfortabel, im Vergleich zu einer Stadtwohnung aber bescheiden ausgestattet war, hatte Frau Jones, Gattin des Majors a. D. Jones, für einen Abschiedstee decken lassen. Sie lächelte freundlich wie immer und betrachtete den Tisch. Ihre alte schwarze Dienerin hatte alles hübsch gerichtet. Tassen und Teller standen für sechs Personen bereit. Die Silberbestecke spiegelten in dem weißen Licht, das durch das Schiebefenster eindrang, das Damastgewebe des Tafeltuches glänzte. Die Teestunde kam heran. Herr Jones fand sich einige Minuten früher ein; er trug Zivil. Die Gattin erklärte ihm die Tischordnung.
    »Du mußt Kusine Betty als Tischdame nehmen, Dick, es läßt sich nicht vermeiden …«
    Herr Jones war in solchen Dingen Kummer und Ergebenheit gewohnt. Kusine Betty, Witwe und schwerreiche Mühlenbesitzerin, konnte jede Rücksicht verlangen. Dick nickte ohne den Versuch eines Widerspruchs.
    »Wie denkst du? Ich konnte dich nicht mehr rechtzeitig erreichen. So habe ich auf meine Verantwortung hin diesen Farbigen mit eingeladen, den Herrn Morris als seinen unzertrennlichen Begleiter betrachtet …«
    »Langspeer? Er wird sich anständig und zurückhaltend benehmen, nicht zuviel Flecke machen und nicht zuviel Rum in seinen Tee schütten. Es ist nun einmal der Spleen des berühmten Malers, diesen Cheyenne überall mitzuschleppen, aber er hat ihn auch gut erzogen. Du hast recht getan, Kitty.«
    Frau Jones war glücklich, wieder einmal die Zufriedenheit ihres Gatten verdient zu haben, und lächelte noch betonter.
    »Was machen wir mit Chefingenieur Joe Brown? Obwohl er erst gestern hier eingetroffen ist und sehr ermüdet war, hat er die Einladung angenommen.«
    »Dein Tischherr, Kitty. Er ist einer der berühmten Männer aus der Pionierzeit der Union Pacific. Allerdings heißt es, daß ihn niemand zum Erzählen bringen kann.«
    »Werden wir ja sehen, Dick!«
    Die Gäste fanden sich ein. Als Herr Jones vorstellen wollte, erklärten die beiden Gäste, Maler Morris und Chefingenieur Brown, sich schon zu kennen.
    »Seit gestern?« Kusine Betty konnte ihre Neugier nicht verbergen.
    »Nicht erst seit gestern«, erwiderte Morris höflich. Er hatte zur Rechten der beleibten, gepuderten und neugierigen Witwe Platz genommen. Seine Erscheinung stach stark ab von der ihren.
    »Oh! Herr Morris! Herr Brown! Sie haben sich schon in den wilden Zeiten unseres fernen Westens kennengelernt? Dann müssen Sie erzählen!« Da keiner der Gäste antwortete, bemerkte Herr Major a. D. Jones: »Die wilden Zeiten sind nun glücklicherweise vorüber. Ich erhalte günstige Nachrichten von den Reservationen. Die Dakota sind befriedet. Ganze Gruppen haben sich offen zu uns bekannt, und ich kann daran denken, offiziell eine indianische Lagerpolizei zu formieren. Es waren Wilde, Bestien. Die outlaws haben wir getötet, die übrigen werden gezähmt.«
    »Sind Sie Reservationsagent geworden?« fragte Morris.
    »Ja.«
    »Aber wie können Sie eine solche Aufgabe annehmen!« Kusine Betty geriet außer sich. »In dieser Einöde, bei den Wilden, und dazu die fürchterliche Verantwortung, wenn etwas passiert … Sie sind doch selbst auch nicht einen einzigen Augenblick Ihres Lebens sicher!«
    »Das war einmal.« Jones lächelte nachsichtig.
    »Wir haben sogar schon ein Internat eröffnet für Indianerkinder, die zu zivilisierten Menschen erzogen werden sollen«, erläuterte Frau Jones, um ihren Gatten zu unterstützen.
    »Noch gibt es viel dort zu tun. Man hat mir gesagt, daß wir Betten beschaffen müßten, obgleich die Wilden doch daheim auch auf dem Boden schlafen … nehme ich an … jedenfalls ist der Unterricht bereits in Gang, nachdem wir einige widerspenstige Burschen ausgesondert und nach außerhalb in Negerschulen verbracht haben.«
    »Also tatsächlich Scherereien und Unannehmlichkeiten«, bestätigte Kusine Betty sich selbst. »Kitty, ihr werdet doch nicht auf eine solche Agentur ziehen?«
    »Aber nein, Betty, wohin denkst du! Wir ziehen nach St. Louis, wo wir unser Haus haben. Auf der Agentur hat mein Mann einen zuverlässigen Vertreter bestellt.«
    Betty atmete hörbar auf. »St. Louis! Da kann ich euch ja noch besuchen.«
    »Freuen uns immer«, versicherte Herr Jones.
    Das Gespräch konnte keine rechte Fortsetzung mehr finden. Die Herren Jones und Brown hielten sich an den Rum, Herr Morris an das Käsegebäck. Langspeer, der Cheyenne, schien
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