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Der junge Häuptling

Der junge Häuptling

Titel: Der junge Häuptling
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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gedeckt fühlte.
    »Die hat wirklich den bösen Blick«, murmelte er, und zum erstenmal wurde seine Stimme leise, denn wenn er auch keinen Glauben hatte, so saß der Aberglaube doch tief in ihm. Er blickte sich nach Mongschongschah um. Als Uinonah sich setzte, hatte auch diese sich wieder niedergelassen und begonnen, die leere Kindertrage sacht zu streicheln.
    Der Weiße deutete mit dem Finger nach der Stirn.
    »Verrückt sind die alle beide! Gehn wir! – Aber das sag ich dir, du Bengel«, wandte er sich beim Hinausgehen an Hapedah, »in dem Augenblick, in dem du deinem Vater was zusteckst, wirst du aufgehängt! Wir kommen wieder! Macht euch keine unnützen Hoffnungen mehr! Euer Häuptling Crazy Horse oder Tashunka, wie ihr ihn nennt, hat sich mit seinen Kriegern ergeben; General Miles hat ihn gelehrt, was gute Sitten sind. Crazy Horse ist mit seinen zweitausend Leuten zur Agentur unterwegs, halb erfroren und verhungert. Das zu eurer Information, und richtet euch danach!«
    Schonka übersetzte mit grausamer Freude.
    Die fünf Indianer und der Weiße verließen das Zelt. Draußen standen noch Tschaske, Blitzwolke und Eidechse.
    »Schert euch weg, ihr Ferkel!« Schonka gab Tschaske einen Tritt und zeigte auch dadurch, daß er von den weißen Männern nicht das Gute, sondern das Schlechte zu lernen im Begriff war. Die beiden Mädchen und der Junge gingen ein Stück weiter und schauten dem verhaßten Verräter und dem weißen Mann nach, als diese fortritten. Auch nachdem die Reiter außer Sichtweite waren, blieben die Kinder noch stehen. Vor ihnen dehnte sich das unfruchtbare Land, über ihnen spannte sich der winterliche Sternenhimmel.
    In den Zelten war noch leise Unruhe, denn niemand hatte sich schlafen gelegt, ehe die Lagerpolizei das Dorf verließ. Aus Tschetansapas Zelt schlüpfte Hapedah heraus und gesellte sich zu Tschaske und den beiden Mädchen. Er bat die Mädchen wegzugehen, da er mit Tschaske noch etwas Wichtiges besprechen müsse. Ohne gekränkt zu sein, entfernten sich Blitzwolke und Eidechse. Sie begriffen, daß Hapedah Geheimnisse hegte, von denen kaum ein anderer wissen durfte.
    Als die beiden Knaben allein miteinander waren, begann Hapedah. »Tschaske! Ich vertraue dir, wie ich mir selbst vertraue. Du wirst über alles schweigen, was ich dir jetzt sage!«
    »Hau. Ich schweige.«
    »Zuerst: Tashunka-witko ist geschlagen. Er zieht mit seinen Kriegern zur Reservation.«
    Tschaske brachte kein Wort hervor. Er mußte die Tränen hinunterbeißen.
    »Sodann«, flüsterte Hapedah heiser, »mußt du wissen, daß mein Vater heute in der Nacht kommt. Ich muß ihm etwas zu essen mitgeben; aber wir haben nichts im Zelt, und meine Mutter hat zu große Angst, sich etwas zu erbitten, nachdem Schonka und der böse Mann mit Namen Lewis gedroht haben, mich aus Rache zu töten. Du mußt mir helfen, Tschaske. In Schonkas Zelt, wo seine Frau Hyazinthe wohnt, die Schwester deiner verstorbenen Mutter, herrscht kein Mangel. Es gibt Fleisch genug dort. Gehe hin zu Hyazinthe, deiner Pflegemutter, sage, du hast Hunger, und laß dir Fleisch geben!«
    »Ich möchte mir lieber die Zunge abbeißen, als bei der Frau des verräterischen Kojoten zu betteln, nachdem Tashunka-witko besiegt ist.«
    »Wirst du es trotzdem tun, Tschaske?«
    »Ich werde es trotzdem tun, hau.«
    Tschaske machte sich auf den Weg, der ihm sehr schwer erschien. Er begab sich zu dem Zelt, in dem Hyazinthe wohnte und das auch für Tschaske die wenig benutzte Heimstatt war. Hyazinthe, Schonkas Frau, wurde von allen im Dorf gemieden.
    Aus dem Schlitz am Zelteingang leuchtete noch ein matter Schein; das Zeltfeuer war also noch nicht gelöscht, und Tschaske schlüpfte hinein, ganz schnell, um seinen Entschluß nicht noch zu bereuen. Im Zelt blieb er nach einigen Schritten stehen.
    Hyazinthe saß beim Feuer und stickte an einem Gürtel. Sie schaute nach einiger Zeit auf, betrachtete Tschaske, und als dieser nichts sagen wollte, fragte sie: »Was willst du?«
    »Fleisch!« antwortete Tschaske kurz. Das Wort klang, als ob er es ausgespuckt habe.
    »So. Deswegen kommst du einmal ins Zelt.«
    »Ja.«
    Hyazinthe ließ den Gürtel, an dem sie gestickt hatte, durch die Hand laufen und schien mit sich zu ringen.
    »Für wen willst du das Fleisch haben?«
    »Nicht für mich«, trotzte Tschaske.
    »Weißt du nicht, daß alle hungern? Nur in deinem Zelt gibt es gut zu essen.«
    Hyazinthe musterte den Jungen wieder, scheinbar feindselig, zugleich von Scham gequält. Plötzlich
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