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Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)

Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Cornelia Read
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Mom. »Es gäbe Spinatsalat und Käsesoufflé.«
    »Mit Leinenservietten«, sagte ich.
    »Und richtigem Silber.«
    Das Karmeliterkloster am Fuß des Hügels erinnerte an die Toskana: helle, in der Farbe von Streichrahm getünchte Mauern und ein einzelner Turm, der sich über dem seladongrünen Eukalyptushain erhob, behütet von Dachziegeln in dem tiefen Rostorange von Moms Lieblingssonnenlotion Bain de Soleil.
    Vor uns fuhr ein senfgelber Kleinwagen. Die Bremslichter leuchteten auf, als er kurz vor der kleinen Brücke langsamer wurde, und er setzte den Blinker für die lange Kiesauffahrt der Mönche.
    Das Motorrad konnte nicht sehen, weshalb wir langsamerwurden, und setzte mit etwa achtzig Stundenkilometern zum Überholen an. Es saßen zwei junge Männer darauf, ohne T-Shirt, mit langem Haar, das im Wind flatterte.
    Einen Augenblick später rammte das Motorrad den gelben Wagen mit einem explosionsartigen Bersten von Metall und Glas, und ich sah wie in Zeitlupe, wie das Hinterrad abhob und die beiden Fahrer in die Luft katapultierte. Der Fahrer flog zehn Meter, bevor er mit dem Kopf gegen das Stahlgeländer der Brücke krachte. Sein Beifahrer blieb mit dem Stiefel am Dach des Kleinwagens hängen, prallte ab, wirbelte wieder durch die Luft, dann stürzte er auf die Straße und schlitterte mit der nackten Brust über den Asphalt.
    Und dann ging plötzlich alles wieder ganz schnell, Mom und ich rannten auf sie zu, der Pacer mit offenen Türen quer über beiden Fahrspuren hinter uns.
    Der, der gegen die Brücke gekracht war, hatte eine blutige Beule in der Größe eines Tennisballs auf einer Seite der Stirn, die weiter anschwoll. Er versuchte, sich aufzusetzen, aber ich legte ihm die Hand auf die Schulter. »Nicht bewegen, okay? Sie haben sich den Kopf angeschlagen.«
    Er sah mich an, aber ich bezweifelte, dass er mich richtig wahrnahm. Seine linke Pupille war riesig und schwarz und rutschte in die falsche Richtung weg.
    »Es tut weh«, sagte er.
    »Das andere Auto fährt zum Kloster, um den Krankenwagen zu rufen.«
    Er schloss die Augen. »Okay.«
    Ich hörte Mom meinen Namen rufen und sah mich nach ihr um.
    Der andere, der über die Straße gerutscht war, war aufgestanden. Sie hatte die Arme um ihn gelegt, um ihn wieder auf den Boden zu bekommen.
    »Sie müssen sich hinlegen«, sagte sie.
    Ich berührte die Schulter des Mannes, bei dem ich saß. »Nicht bewegen.«
    Dann lief ich zu Mom und legte dem Beifahrer die Hand auf den nackten Rücken. »Sie hat recht. Legen Sie sich noch mal kurz hin, bis der Krankenwagen da ist.«
    Ich half ihr, ihn auf den Boden zu legen. Er rollte sich auf der Seite ein und begann zu weinen. Mom setzte sich im Schneidersitz neben ihn, eine Hand auf seiner bleichen Schulter.
    »Es wird alles wieder gut … alles wird gut …«, sagte sie, der gleiche Singsang, mit dem sie uns als Kinder beruhigt hatte, wenn sie uns ihre kühle Hand auf die Stirn legte, um Fieber zu messen oder um uns das Haar aus dem Gesicht zu halten, wenn wir uns übergaben.
    Moms weiße Bluse war mit dem Blut des Verletzten getränkt. Kies klebte in der Lochstickerei.
    Er zitterte, dann riss er schluchzend den Mund auf.
    »Schsch«, gurrte sie. »Es wird alles wieder gut.«
    Ich sah auf und bemerkte, dass inzwischen lauter Menschen da waren, deren leere Autos mit offenen Türen auf dem Highway standen.
    Dann kamen der Krankenwagen und die Feuerwehr über den Hügel, mit Blaulicht und plärrenden Sirenen, bis ich sie durch die vielen Menschen nicht mehr sehen konnte.
    Die Menge teilte sich, um die Sanitäter mit den Krankentragen durchzulassen, dann wurde den beiden eine Halskrause angelegt, und die Menschen verliefen sich wieder, bis nur noch Mom und ich bleich und zitternd am Straßenrand standen.
    Vor der Küste hing eine Nebelbank, die von der tief stehenden Sonne in pfirsich- und lavendelfarbenes Licht getaucht wurde.
    »Ich glaube, wir stehen unter Schock«, sagte ich.
    »Hm?« Moms Augen starrten in die Ferne, glänzend im weichen Licht.
    »Wir sollten nach Hause fahren.«
    »Ja«, sagte sie, während sie sich langsam die blutfeuchte Bluse vom Bauch zupfte. »Natürlich.«
    Als wir zu Hause ankamen, war die Dämmerung hereingebrochen: l’heure bleu.
    Das Haus war alt nach dem Maßstab der Westküste, im spanischen Stil gebaut – eine bescheidene Version des Karmeliterklosters –, von märchenhaften Zypressen gesäumt, deren Grün in Schwarz verlief.
    Moms Hände zitterten, der Schlüssel klimperte in ihrem Schoß,
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