Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)

Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Cornelia Read
Vom Netzwerk:
rief sie. »Bitte erschieß mich, jetzt sofort.«
    Abends, ein paar Stunden nachdem sie mir den Gips abgenommen hatten, rief Dean an.
    »Ich freue mich auf dich, Bunny. Ich schaffe es zwarnicht zum Dinner am Dienstag, aber wenn ich deinen Wagen aus New Jersey hole, bin ich bis Mitternacht in Bar Harbor.«
    »Kannst du nicht direkt von La Tuque nach Maine kommen?«
    »Das Umbuchen würde vierhundert Dollar kosten. Darum kann ich Christoph nicht bitten.«
    Ach ja? Astrid gibt mehr Trinkgeld für Cocktails, die sie nicht mal austrinkt.
    »Ich dachte nur, das Hin und Her klingt so verrückt«, sagte ich. »Bist du dir sicher, dass du Maine nicht ganz streichen willst?«
    »Es ist die Hochzeit deiner Mutter. «
    »Dann kommst du eben zur nächsten. Keine große Sache.«
    »Wie sieht dein Arm aus?«, fragte er.
    »Bleich. Irgendwie dünn.«
    »Ich freue mich schon«, sagte er. »Es war schrecklich, vier Kilo Gips zwischen mir und deinem drallen Körper zu haben.«
    »Ja«, sagte ich, »wem sagst du das.«

63
    Ich packte für Maine, als am Dienstagmorgen im Wohnzimmer das Telefon klingelte. Der ganze traurige Inhalt meines Kleiderschranks lag auf dem ungemachten Krater meines Betts, eine nukleare Textilkatastrophe.
    Wenigstens war mein Arm vom Gips befreit.
    Erleichtert joggte ich weg vom Epizentrum der Kleiderexplosion.
    Pagan warf mir den Hörer hin. »Dein Kumpel Kyle.«
    »Hey«, sagte er, als ich in die Couch sank.
    »Hey«, antwortete ich. »Was gibt’s?«
    »Das Urteil.«
    »Wann?«
    »In höchstens einer Stunde. Wenn du sofort in die U-Bahn steigst, bist du pünktlich hier.«
    »Ich weiß nicht, ob ich kommen kann«, sagte ich.
    »So ein Quatsch«, sagte Kyle. »Spring in die U-Bahn.«
    Kein Tschüs, keine Chance, ihm zu erklären, dass unser Mietwagen schon vor der Tür stand – es klickte nur, und dann tutete es.
    Pagan starrte mich mit verschränkten Armen an. Ihre und Sues Reisetaschen standen gepackt im Flur, fertig zum Einchecken.
    »Hört zu«, sagte ich.
    Wütend schüttelte sie den Kopf. »Madeline, denk nicht mal dran, mich zu verscheißern.«
    »Wir legen einen Pitstop ein.«
    »Nein.«
    »Es liegt auf dem Weg.«
    »Nein.«
    »Der Wagen läuft auf meine Kreditkarte, und ich fahre«, sagte ich. »Wenn du Lust hast, kannst du dich auf die Sixth Avenue stellen und trampen – dann siehst du, wie schnell du nach Bangor kommst.«
    Ich hörte sie »Zicke« murmeln, aber ich war schon losgerannt, um meine Zahnbürste und das karierte Kleid in der Plastikfolie einzupacken.
    »Ich will vorne sitzen«, hatte Pagan gerufen, aber Sue war die bessere Kopilotin, also schickte ich Pagan murrend auf den Rücksitz.
    »Dafür bist du unsere DJane«, erklärte ich ihr und reichte ihr einen Stapel CDs.
    Ich ließ den Wagen an, und sie legte Hendrix ein.
    Sue warf einen Blick auf die Uhr am Armaturenbrett, sagte »FDR«, und wir schossen nach Norden wie ein Torpedo.
    »Brücke oder Tunnel?«, fragte ich, als wir an der Twentyninth Street vorbeirauschten.
    »Tunnel«, sagte Sue. »Eindeutig.«
    Wir glitten in den östlichen Schlund der schmalen Röhre und ich warf eine Handvoll Vierteldollarmünzen in den Mauteimer, doch wir waren so schnell, dass wir trotzdem Alarm auslösten. Nichts als Ärger.
    Zwanzig Minuten später parkte ich vor dem Gerichtsgebäude neben Kyles Wagen.
    »Mir ist kotzübel«, beschwerte sich Pagan, als sie die Beine aus dem Auto schälte. »Du fährst wie ein Henker.«
    Ich entdeckte Kyle, der hinter der Menge an der Sicherheitsschleuse nervös nach uns Ausschau hielt.
    Ich machte Pagan auf ihn aufmerksam. »Er kriegt uns schnell rein. Eine schicke Toilette ist ganz in der Nähe.«
    Mein Adrenalinspiegel war inzwischen so hoch, dass er mit Sicherheit ansteckend war.
    »Geht schon wieder«, sagte sie und holte tief Luft. »Ich bin ganz cool, los geht’s.«
    Und los ging’s.
    Die Atmosphäre im Gerichtssaal an diesem Morgen war anders. Als wäre da eine Art tiefes unhörbares Summen, das alle Anwesenden infizierte.
    »Das ist sie?«, flüsterte Sue. »Die Mutter?«
    Ich nickte.
    »Wie alt ist sie? So alt wie wir?«, fragte sie.
    »Jünger«, antwortete ich.
    Kyle beugte sich vor und hielt warnend den Finger an die Lippen.
    Der Gerichtsdiener stand auf und sagte: »Bitte erheben Sie sich.«
    Wir kamen kollektiv auf die Füße, und der Saal wurde von gedämpftem Rascheln erfüllt.
    Die Tür hinter der leeren Richterbank öffnete sich langsam nach außen, dann schritt der Mann des Tages heraus, die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher