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Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)

Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Cornelia Read
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hatten, wurde uns nicht zur Verteidigung angerechnet, aber darauf hatte ich auch nicht gezählt.
    Ich sah mich nach Dean um in der Hoffnung, er hätte es geschafft, mit dem Porsche das Raum-Zeit-Kontinuum zu überwinden, und wäre vielleicht schon vor uns da. Leider kein Glück.
    Es war nicht so, dass alle schon an den Tischen saßen. Die Gäste standen in der jagdgrünen Bar des Country Clubs herum und kippten Gin, ohne die Platten mit Shrimps, überbackenen Camembert-Häppchen en croûte und in Speck gewickelten Wasserkastanien eines Blickes zu würdigen.
    »Das Essen ist etwas besser, als ich erwartet habe«, sagte Sue. »Ich meine, für eine WASP-Veranstaltung. Bei deiner Hochzeit bin ich fast verhungert, Madeline.«
    »Ich glaube nicht, dass wir meckern dürfen, wenn wir so spät kommen«, gab Pagan zurück.
    »Wer meckert denn?«, fragte Sue.
    Wenigstens hatte ich nicht vergessen, Deans und mein Hochzeitsgeschenk einzupacken. Es war ein ziemlich elegantes, rot lackiertes Drehtablett mit passenden blau-weiß glasierten Schälchen – die perfekten Gefäße für jene Beilagen, mit denen Mom ihre Instantreisgerichte und faden protestantischen Currys aufzupeppen versuchte.
    »Da ist Mom«, Pagan packte mich am Arm. »Komm, wir sagen hallo.«
    »Ich brauche dringend ein Glas Wasser«, sagte ich.
    »Was, keinen Gin?«, fragte sie.
    »Später vielleicht. Jetzt habe ich einfach nur Durst.«
    »Und du willst ein WASP sein?« Sue schüttelte den Kopf. »Ohne Schweiß kein Preis.«
    »Bist du dir sicher, dass du keine Protestantin bist?«, fragte ich zurück.
    »Ich passe mich an.«
    »Lächeln, ihr Zicken«, zischte Pagan. »Zeit, die sprichwörtliche gute Miene aufzusetzen.«
    Im Entenmarsch schlängelten wir uns durch die trinkende Menge zu Mom.
    »Oh Gott«, rief ich auf halber Strecke. »Larry trägt einen Kilt.«
    Beim Abendessen hatten sie uns getrennt, als wollten sie mit der Verteilung unserer Tischkarten über den ganzen Saal verhindern, dass wir uns gegenseitig unterstützten.
    »Sie sind die Tochter der Braut?« Die Frau neben mir zog den Kopf zurück, wodurch die Stränge ihres ledernen Tennishalses noch stärker hervortraten.
    »Das älteste Kind«, sagte ich. »Ja.«
    Sie musterte mein Outfit und runzelte die Stirn. Hätte sie einen Kneifer getragen, hätte sie ausgesehen wie die »Matrone auf dem Weg zur Oper« aus einer New-Yorker- Karikatur von circa 1934.
    »Ich war heute Morgen noch vor Gericht«, erklärte ich. »In Queens.«
    »Sind Sie Anwältin?«, fragte sie.
    »Zeugin«, sagte ich. »In einem Mordfall.«
    Damit war das Gespräch erledigt und sie wandte sich dem Tischnachbarn zu ihrer Rechten zu.
    Gut.
    Mir doch egal.
    Von der Schmach erlöst, sah ich den winzigen Achtzigjährigen zu meiner Linken an, als Paillard vom Huhn in geschmacksfreier Sahnesoße serviert wurde.
    »Ich kam nicht umhin, ihr Gespräch mitzuhören«, sagte er.
    »Die traurige Entschuldigung für meine empörende Verspätung?«, fragte ich.
    »Genau die«, sagte er. Seine blauen Augen zwinkerten unter der ungestutzten Hecke weißer Brauen.
    »Ich weiß nicht, ob Ihnen das Thema zum Abendessen zusagt.«
    »Wollen wir wetten?« Er tätschelte mir die Hand. »Für einen alten Knacker bin ich überraschend hartgesotten.«
    »Ich wurde letzten September in die Sache verwickelt.«
    »Wer wurde ermordet?«
    »Ein kleiner Junge«, sagte ich, »an seinem dritten Geburtstag.«
    »Waren Sie Augenzeugin?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich fand sein Skelett auf einem Friedhof, fünf Monate später. Deswegen musste ich aussagen.«
    »Und wer war es?«
    »Der Freund der Mutter. Ich wollte die Urteilsverkündung heute Morgen hören. Deswegen sind wir zu spät gekommen.«
    »Haben Sie ihn drangekriegt?«, fragte mein Tischherr.
    »Wegen fahrlässiger Tötung«, sagte ich. »Das Strafmaß habe ich allerdings verpasst.«
    »New York State?«
    Ich nickte.
    »Fünfzehn Jahre«, sagte er. »Wahrscheinlich lassen sie ihn nach sieben raus.«
    Ich schauderte und trank einen Schluck. »Die Mutter kommt so gut wie ungeschoren davon.«
    »Arschlöcher«, sagte er.
    Ich verschluckte mich hustend.
    Mein neuer Freund klopfte mir herzhaft auf den Rücken.
    »Entschuldigen Sie«, sagte er, »wahrscheinlich hat Sie mein redaktioneller Kommentar überrascht.«
    Ich lachte mit tränenden Augen.
    »Was halten Sie von der bevorstehenden Vermählung Ihrer Mutter?«
    Ich wich aus. »Larry macht einen sehr netten Eindruck.«
    »Gut gespielt«, sagte er. »Aber keine
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