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Der Judas-Schrein

Der Judas-Schrein

Titel: Der Judas-Schrein
Autoren: Andreas Gruber
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jetzt noch die ausgeblichene Tafel Zimmer frei im Fenster.
    Auf einer Holzbank unter dem Vordach saßen drei alte Männer mit breiten Hutkrempen und dicken Steppmänteln. Er kannte die Alten, es waren Bauern aus Heidenhof. Einer von ihnen bewirtschaftete sogar die Viehställe neben dem Wohnhaus, in dem Körners Exfrau wohnte. Vor den Männern plätscherte das Regenwasser vom Dach und lief das Gefälle hinunter. Da verstummten die Kirchenglocken, und Körner hörte das Gemurmel der Greise. »Der Exmann der Schabinger Marli.«
    Natürlich! Das hätte er sich denken können! Wenn er den Namen Marli schon hörte, krampfte sich ihm der Nacken zusammen. Seine Ex hieß Maria, doch jeder in den beiden Orten nannte sie Marli - die kleine Marli, und das würde sie für immer bleiben, auch wenn sie mittlerweile vierzig Jahre alt war.
    »Woher kennen die Ihre Exfrau?«
    Körner zuckte zusammen. Seiner Kollegin war der Kommentar der Alten also nicht entgangen.
    »Sie wohnt im Nachbarort.« Er nickte die Straße entlang, über die sie gekommen waren, die zum Hauptplatz führte und sich danach zwischen den Häusern verlor. »Einige Kilometer flussaufwärts, in Heidenhof.«
    »Sie scheinen hier nicht beliebt zu sein«, stellte Berger fest.
    »Wer ist hier schon beliebt? Schauen Sie sich die Kerle an!« Er deutete auf die alten Männer, die auf der Bank saßen, als habe man sie an die Rückenlehne genagelt. »Die sind doch wie Schiffbrüchige, die nie aus dem Ort herauskommen! Die behandeln alle anderen wie Eindringlinge.«
    Berger lächelte. »Sie übertreiben.«
    »Sie haben keine Ahnung.« Dabei beließ er es. Sie würde es noch früh genug merken. Der Scheidungsrichter hatte Vor Jahren festgelegt, dass er seine Tochter einmal im Monat besuchen durfte. Wegen seines Jobs bei der Kripo hatte er nicht jeden Monat die Möglichkeit, doch wenn er nach Heidenhof kam, fuhr er nie durch Grein. Er blieb auf der Bundesstraße, raste neben der Trier entlang, ließ Grein links liegen und nahm die nächste Brücke nach Heidenhof. Keine zehn Pferde hätten ihn je in dieses Dorf gebracht. Bisher hatte er die Erinnerung an den Ort seiner Kindheit erfolgreich verdrängt, wie ein Buch mit schrecklichen Bildern, das man zuschlug, unter dem Bett versteckte und nicht mehr hervorkramte. Doch jetzt kroch es heraus und blätterte sich von allein auf. Plötzlich sah er aberwitzige Parallelen: Immer wenn er zu Maria kam, um die Kleine abzuholen, saß seine Ex aufrecht und steif in der Küche, ähnlich wie die drei Alten, als habe man auch sie an die Rückenlehne der Bank genagelt. Das musste an der Gegend liegen, vielleicht am Kalkgehalt des Brunnenwassers oder weiß Gott woran. Jedenfalls hielt er sich nie lange bei ihr auf, schnappte Verena und verschwand mit ihr so schnell es ging, in eine Pizzeria, in einen Tiergarten, ins Kino, oder einfach nur in die Einkaufsparks der nächstgrößeren Stadt, nach Neunkirchen. Das Mädchen hatte sich nie darüber beschwert - obwohl, klein war sie bei Gott nicht mehr. Verena reichte ihm bis zur Schulter. Früher hatte er sie Vreni genannt, doch seit drei Jahren fand sie das uncool. Jedes Mal, wenn er sie so nannte, stieg ihr eine peinliche Röte ins Gesicht, besonders vor ihren Schulkollegen. Jetzt war sie knapp vierzehn, rauchte heimlich, hatte ein Piercing unter der Lippe und wollte sich sogar ein Celtic-Tattoo in die Schulter stechen lassen. So viel er wusste, hörte sie Offspring und Puddle of Mudd, mit ein Grund, weshalb sie zu den Außenseitern des Ortes gehörte. Vielleicht lag das auch daran, dass sie in Neunkirchen zur Schule ging und ein wenig Abstand zu den Dorfgewohnheiten gewann. Bestimmt saß sie auch jetzt in der Schule und ahnte nicht, dass ihr Vater im Nachbarort in einem Mordfall ermittelte.
    »Die Diskothek sieht verkommener aus als auf dem Foto.« Berger wischte sich das Regenwasser aus dem Gesicht.
    Sie folgte Körner quer über den Platz, zu einem unscheinbaren, schwarzen Holzschuppen, dem letzten Gebäude, das den Hauptplatz umsäumte: die Gaslight Bar. Ein Pressefahrzeug stand vor der Tür, doch rannten keine Presseleute herum, wie es sonst üblich war. Eine ungewohnte Ruhe lag über dem Platz. Daneben parkten ein weinroter Kastenwagen mit Wiener Kennzeichen, das Auto von Rolf Philipp, dem Spurensicherer, und ein Rettungsfahrzeug. Die beiden Hecktüren standen offen, und im Ambulanzbereich brannte Licht. Körner erhaschte einen Blick in das Innere des Sanitätsautos, wo eine Frau mit schwarzem
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