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Der Judas-Schrein

Der Judas-Schrein

Titel: Der Judas-Schrein
Autoren: Andreas Gruber
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Lockenschopf und hochgekrempeltem Ärmel auf der Liege kauerte. Ein Mann saß ihr gegenüber und bereitete eine Injektion vor. Mit der freien Hand malte sie auf einem Papierblock. Körner hörte sie schluchzen. War das die Reporterin, welche die Leiche entdeckt hatte? Falls ja, würde er sich später um sie kümmern. Zuerst wollte er den Tatort sehen.
    Sie kamen unter dem Vordach der Diskothek zum Stehen, da ihnen ein Mann in grüner Uniform und Dienstmütze den Weg versperrte. Er war an die fünfzig, hatte dichte Augenbrauen, einen treuseligen Hundeblick und eine Knollnase. Er sah aus, wie die Dorfgendarmen in dieser Gegend eben aussahen, als hätte er genauso gut auf einem Traktor den Maisacker pflügen können. Mit einer Hand lehnte er an einem Holzsteher und starrte Berger unverhohlen auf die Brüste. Erst jetzt bemerkte Körner, dass seine Kollegin den Parka offen trug, die Hände in die Hosentaschen gesteckt hatte und das Kreuz durchstreckte, damit sie größer wirkte. Sonja Berger war eine kleine, stramme Person, sie war nicht größer als Körners Tochter, doch hatte sie eine tolle Figur, die man selbst unter dem Parka erkennen konnte. Auf Männer wirkte sie eben nicht wie eine Profilerstellerin der Kripo. »Sie sind die Ermittler von St. Pölten?«
    »Vom Landesgendarmeriekommando Wien«, korrigierte Berger. Sie stellte Körner und sich selbst vor.
    Der Gendarm schnalzte mit der Zunge. »Mein Name ist Friedl, ich bin der Postenkommandant von Grein. Wobei…« Er lächelte. »Posten ist übertrieben, ich bin allein für die beiden Orte verantwortlich. Ich habe Unterstützung vom Gendarmerieposten Neunkirchen erhalten. Der liegt nur fünfzehn Kilometer entfernt von hier, die Männer waren gleich zur Stelle. Die örtliche Polizei hat alles abgeriegelt. Die Beamten suchen in einem Radius von fünfhundert Metern nach Spuren.« Er machte eine Pause und musterte Körner. »Stimmt es, dass das Haus vermint war und Sie den Geiselnehmer mit bloßen Händen überwältigt haben?«
    Im ersten Moment war Körner sprachlos. Er hätte alles erwartet, nur das nicht. Mittlerweile schien es jeder zu wissen; sogar bis zu einem Nest wie Grein hatte sich die Geschichte durchgesprochen.
    »Dehnen Sie den Radius auf eintausend Meter aus«, antwortete er kühl.
    Der Gendarm stieg von einem Bein aufs andere. »Ich denke fünfhundert genügen. Wenn wir nichts finden, können wir immer noch …«
    Körner kam näher auf ihn zu und fixierte ihn. »Leiten Sie die Ermittlungen?« Er wartete keine Antwort ab. »Wie wollen Sie einen zu klein festgelegten Sperrbereich nachträglich vergrößern, ohne dass Spuren verloren gehen! Und jetzt machen Sie schon, bevor uns der Regen alles wegspült!«
    Er ging um den Gendarmen herum, schlüpfte unter dem gelben Plastikband hindurch und betrat die Bar. Berger folgte ihm. Zunächst fiel ihm auf, dass in der schweren Holztür das Schloss fehlte. Es war fachmännisch aus der Vertiefung entnommen worden. Körner fasste jedoch nichts an, sondern notierte das Detail in Gedanken. Wie er schon auf den Fotos gesehen hatte, war der Raum dunkel. Der Boden bestand aus speckigen Holzbohlen, über die bestimmt schon literweise Bier geflossen war, die Wände waren ebenfalls mit Brettern verkleidet, und unter der Decke verliefen schwere Holzbalken, um die ein Kabel mit Glühbirnen geschlungen war - die behelfsmäßige Ausstattung, um das Flair einer Diskothek zu erzeugen.
    In dem Raum roch es nicht nur nach Bier und kaltem Zigarettenrauch, wie er es von den Tatorten in Diskotheken kannte, sondern auch nach Eisen. Doch das war nicht alles. Darüber lag der penetrante Geruch verfaulter Eier, wie im Schwefelbad eines Seniorenheims. Von der Leiche konnte der Gestank nicht stammen. Leichen rochen anders!
    »Puuuh«, stöhnte Berger.
    »Passen Sie auf!« Körner deutete auf den Weg, den die Spurensicherung für die Ermittler gelegt hatte. Winzige Zapfen stecken im Boden, an denen Schnüre gespannt waren. Berger folgte ihm entlang der Wegführung, ohne einen Schritt über die Markierung zu setzen. Sie kamen zu den Barhockern. Der Tresen war alles andere als blank poliert, Bierdeckel lagen herum und Reste von Kerzenwachs klebten am Holz. Durch den großen Spiegel hinter der Bar wirkte der Raum doppelt so groß. Von dem Deckenaufbau hingen die Gläser und Portionierer der Bourbon- und Barcadiflaschen. Körner hatte als Jugendlicher nie in dieser Bar herumgelungert, die es damals schon gegeben hatte. Zigaretten, Schnaps und
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