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Der Joker

Titel: Der Joker
Autoren: Markus Zusak Alexandra Ernst
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wirklich geschmeichelt fühlen, dass sie mich nicht mal anfassen will, weil sie mich mehr mag als jeden anderen sonst. Ich finde das jedenfalls völlig nachvollziehbar.
    Wenn sie mal schlecht drauf ist oder deprimiert, dann
sehe ich ihren Schatten im Fenster meiner Hütte auftauchen. Sie kommt rein und wir trinken ein Bier oder ein Glas Wein oder schauen uns einen Film an oder alles drei. Einen alten, ellenlangen Film wie »Ben Hur«, der bis tief in die Nacht läuft. Dann sitzt sie neben mir auf dem Sofa in ihrem Flanellhemd und in Jeans, die sie kurz oberhalb der Knie abgeschnitten hat. Wenn sie eingeschlafen ist, hole ich eine Decke und kuschle sie ein.
    Ich küsse sie auf die Wange.
    Ich streiche ihr übers Haar.
    Ich denke daran, dass sie allein lebt, genauso wie ich, und dass sie nie eine richtige Familie hatte und ständig mit Männern ins Bett geht. Dass sich die Liebe bei ihr einschleicht, lässt sie nicht zu.
    Ich glaube, sie hatte einmal eine Familie, aber vermutlich war es eine, in der jeder jeden verprügelt hat. Davon gibt es hier in der Gegend jede Menge. Ich glaube, sie hat ihre Familie geliebt, aber die haben ihr nur wehgetan.
    Das ist der Grund, warum sie nicht lieben will.
    Niemanden.
    Wahrscheinlich denkt sie, dass sie so besser dran ist, und wer kann es ihr verdenken?
    Wenn sie auf meinem Sofa schläft, denke ich über all diese Dinge nach. Jedes Mal. Ich decke sie zu, gehe ins Bett und träume.
    Mit offenen Augen.

3
    Das Karo-Ass
    Die Zeitungen bringen wirklich ein paar Berichte über den Banküberfall. Darin steht, dass ich den Typen gejagt und ihm dann während eines Kampfes die Waffe entrissen hätte. Typisch. Ich hätte darauf wetten können, dass sie die Sache aufbauschen.
    Ich sitze am Küchentisch und lese ein paar von den Artikeln und der Türsteher schaut mich an wie immer. Ihn juckt es überhaupt nicht, ob ich ein Held bin. Solange er pünktlich sein Abendessen bekommt, ist die Welt für ihn in Ordnung.
    Meine Mutter kommt vorbei und ich mache ihr ein Bier auf. Sie ist stolz auf mich, sagt sie. Ihrer Meinung nach haben es all ihre Kinder zu etwas gebracht, bis auf mich, aber jetzt kann sie auch von mir mit glänzenden Augen sprechen, wenigstens ein paar Tage lang.
    Ich stelle mir vor, wie sie die Leute auf der Straße anspricht: »Das war mein Sohn. Ich hab euch ja immer gesagt, dass aus ihm eines Tages noch was wird.«
    Natürlich kommt auch Marv vorbei und dann noch Ritchie.
    Selbst Audrey stattet mir mit der Zeitung unter dem Arm einen Besuch ab.
    In jedem Artikel steht, dass ich der zwanzigjährige Taxifahrer Ed Kennedy wäre, weil ich jeden einzelnen Reporter angelogen habe, was mein Alter angeht. Wenn man einmal anfängt zu lügen, muss man auch dabei bleiben. Regel Nummer eins.
    Mein verblüfftes Gesicht klebt auf den Titelseiten der Zeitungen
und sogar ein Mann vom Radio klopft bei mir an und nimmt ein Interview mit mir auf. Wir sitzen im Wohnzimmer und trinken Kaffee, allerdings ohne Milch. Ich wollte gerade welche einkaufen gehen, als er vor der Tür stand.
     
     
    Am Dienstagabend komme ich von der Arbeit heim und hole die Post aus dem Briefkasten. Zwischen der Strom- und der Gasrechnung und ein paar Werbeblättchen steckt ein kleiner Umschlag. Ich werfe ihn mit dem ganzen Stapel auf den Tisch und vergesse ihn. Auf dem Umschlag steht mein Name hingekritzelt, und ich frage mich, was wohl drinsteckt. Immer wieder, auch als ich mir ein Steak-Sandwich mit Salat mache, denke ich, dass ich unbedingt ins Wohnzimmer gehen und nachschauen muss. Und ständig vergesse ich es wieder.
    Es ist schon ziemlich spät, als ich endlich dazu komme.
    Ich fühle es.
    Ich fühle etwas.
    Etwas strömt zwischen meinen Fingern hindurch, während ich den Umschlag in meinen Händen halte und ihn schließlich aufreiße. Die Nacht ist kühl, typisch für den Frühling.
    Ich erschauere.
    Ich sehe mein Spiegelbild im schwarzen Bildschirm des Fernsehers und in dem Foto meiner Familie.
    Der Türsteher schnarcht.
    Die Brise vor der Tür kommt näher.
    Der Kühlschrank summt.
    Einen Moment lang habe ich den Eindruck, als stünde alles still, als ich in den Umschlag greife und eine alte Spielkarte herausziehe.
    Es ist das Karo-Ass.

    Ich sitze im Schimmer der Wohnzimmerlampe und halte die Karte vorsichtig zwischen den Fingern, als ob sie zerbrechen oder in meinen Händen zu Staub zerfallen könnte. Auf der Karte stehen drei Adressen, geschrieben mit derselben krakeligen Handschrift wie mein Name auf dem
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