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Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Titel: Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs
Autoren: Helge Timmerberg
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Leider zeigte er mir das erst viele Jahre später. Trotzdem war es in Kurdistan zum Sterben zu früh und zum Stehenbleiben zu kalt, und der Grund, warum ich in dieser Nacht noch mal wie Rotkäppchen davongekommen bin, offenbarte sich schon sehr bald. Der Minibus war nicht nur wegen der Dunkelheit und des Schneetreibens so schnell verschwunden, sondern auch, weil die Straße in diesem Abschnitt um einen besonders dicken Felsen herumführte. Hinter dem Felsen warteten sie auf mich, und dank des Umstands, daß einige von ihnen die Wartezeit zur Verrichtung ihrer Notdurft nutzten, ging ich niemals vorher und niemals nachher in meinem Leben jemals wieder so erleichtert an scheißenden Moslems vorbei.
    Drei Stunden später erreichte ich den Iran, drei Wochen darauf Pakistan, dann Indien, dann Thailand und nahezu jedes südostasiatische Land, auch Shanghai, Hongkong, Tokio, die kompletten USA (außer Alaska) und das komplette Europa (außer Norwegen und Irland), vom afrikanischen Kontinent sah ich Ägypten, Marokko und Uganda, und ich war auch noch im Libanon, in Syrien und Belize (Mittelamerika), bevor ich fünfzehn Jahre später ein zweites Mal ins wilde Kurdistan kam.
    Diesmal bereits als Journalist, der sich die Reise dadurch finanzierte, daß er beschrieb, was auf der Traumroute der Hippies (Hamburg – Himalaja overland) noch immer so war wie einst und was nicht. Griechenland war 1985 keine Militärdiktatur mehr, sondern ein demokratischer Staat, die Türkei war nicht mehr länger eine Demokratie, sondern eine Militärdiktatur, der Iran gehörte nicht mehr dem Schah und seinen schnauzbärtigen Geheimpolizisten, sondern Chomeini und seinen vollbärtigen Revolutionsgardisten, Saddam Hussein bombardierte Teheran, und gab es noch Wölfe in Kurdistan?
    In Kurdistan rissen noch immer wilde Flüsse in tiefen Schluchten alles mit sich, was dem Abgrund zu nahe gekommen war, und unweit der Stelle, an der ich mich mal zu Tode erschrocken hatte, standen jetzt eine Tankstelle und ein Restaurant. Wir hielten an. Es war am Abend, so gegen zehn, ein schmutziges Dutzend Lastwagenfahrer saß an schmucklosen Tischen, außerdem gab es zwei Soldaten in schäbiger Uniform. Ein Pornovideo lief. Was die Küche bot, wollte ich nicht probieren, ich nahm nur einen Çay (türkischer Tee), serviert in einem Wasserglas, und alles mögliche ging mir durch den Sinn. Alles mögliche und nichts Besonderes. Weil ich, wie nicht oft genug erwähnt werden kann, schwerhörig bin, brauchte es ein paar Takte, bis ich mitbekam, daß es ein deutschsprachiger Porno war. Er spielte in einem deutschen Krankenhaus. Deutsche Schwestern ließen deutsche Möpse raus. Das war normal (einer der zahllosen in Deutschland arbeitenden Kurden hatte ihn mitgebracht), aber illegal. Pornographie war in der Türkei verboten, und ein trauriger Polizist mußte deshalb nach draußen gehen und mit dem Rücken zur Eingangstür stehen, um den Gesetzesbruch nicht zu sehen.
    Ich gesellte mich zu ihm. Die Luft in dem Laden war zu stickig, das Neonlicht zu grell, der Porno zu dilettantisch. Pornos mit Rahmenhandlung sind immer dilettantisch, weil die Akteure keine Schauspieler sind, sondern Leute wie du und ich. Also rauchten wir eine, und der Polizist wollte wissen, was ich von Mohammed halte. Ich war nicht mehr siebzehn. Diesmal antwortete ich korrekt: «Allah Akbar, Mohammed rasul Allah» (Allah ist groß, und Mohammed ist sein Prophet). Des Polizisten bis dato graue Augen leuchteten auf, auch die Sterne schienen etwas heller, und dann rauchten wir noch eine und noch eine und schauten lange in den Mond. Der Grund ist leicht zu erraten: Wir wußten einfach nicht, wohin. Denn vor uns heulten die Wölfe und hinter uns die Masturbanten.
     
    Siebzehn Jahr, blondes Haar, und es war ja eigentlich nichts geschehen außer dem Aufbruch nach Indien, mit einem Schlafsack, einem Rucksack, einer Gitarre und einem ganz einfachen System: Alles hat Sinn, solange es vorangeht, weitergeht, immer weiter, von Land zu Land, von Stadt zu Stadt und über die Brücken. Es war wirklich nichts geschehen, nur daß alle Brücken abgebrochen waren und sich im Kopf nichts mehr an dem Platz befand, wo es vorher mal stand. Und bald gab es nur noch eine Lehre und einen Lehrer, und Bäume zogen wie Kommata vorbei, Häuser wie Punkte, Landschaften wie Seiten, und Gebirgsketten schlossen Kapitel ab.
    So kamen sechs Hippies aus den Bergen der Osttürkei in einer Winternacht des Jahres 1970 in ein Tal hinunter und
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