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Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Titel: Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs
Autoren: Helge Timmerberg
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Nebenzollbehörde, und zwischendurch habe ich ein bißchen Joghurt gegessen und bin ein bißchen weiter gestorben, und als ich via Militärbehörde wieder beim Hauptquartier der Polizei landete, wo man mich ein zweites Mal in die Umlaufbahn zu setzen gedachte, torkelte ich aus dem Gebäude, hockte mich auf die Stufen vor dem Portal und weinte bitterlich.
    Im Himmel klingelte ein Wecker.
    Wie mein Schutzengel wohl ausgesehen haben mag, als er plötzlich kerzengrade auf der Wolke stand? Klient in Not! Diagnose: bakterielle Attacke, seelischer Kollaps, akuter Flüssigkeitsmangel, Opiumentzug. Und eine Art psychosomatische Epilepsie. Es bestand in der Tat Handlungsbedarf für meinen Schutzengel in Sachen Gaspistole.
    Ich hatte noch nicht mal ausgeweint, als ich eine Hand auf meiner Schulter fühlte. «Kann ich dir helfen?» fragte eine nette Stimme. Es war ein Perser namens Zadid, der fließend Deutsch sprach. Er hatte in Berlin studiert, und er haßte den Schah. Er nahm mich bei der Hand, setzte mich in ein Taxi und fuhr mit mir zu vier Waffengeschäften. Im letzten fanden wir eine passende Gaspistole. Gleiche Marke, gleiches Modell. Möglicherweise gleiche Seriennummer. Habe ich im alten Basar von Teheran meine eigene Pistole für fünfzig Dollar zurückgekauft? Zadid meinte, das sei egal. Hauptsache, Papiere und Gepäck seien wieder in Harmonie. In relativer Harmonie.
    Fünfzig Dollar für den Durchgeknallten an der Grenze zu Afghanistan, fünfzig Dollar für den Rückkauf meiner Pistole im Basar von Teheran, zehn Dollar für Zadid und sieben Dollar für das Busticket nach Pakistan. Blieben noch sechzig Dollar für die restlichen dreitausend Kilometer bis Indien. Und die 39,9 Grad Fieber blieben auch. Keine wirklich problematische Situation, wenn man mit Schutzengel reist. Er hatte mir die Pistole zurückgegeben, er würde mich auch kurieren oder jemanden finden, der es für ihn tut. Jemanden wie Zadid. Ich verabschiedete mich von dem freundlichen Perser, schleppte mich in den Bus und fuhr los. Es war noch ein weiter Weg bis zur Grenze nach Pakistan. Und wir mußten durch die große Wüste Lot.
     
    Erstes Etappenziel (fünfhundert Kilometer) war die alte Kaiserstadt Isfahan, in der der mongolische Eroberer Tamerlan im Jahr 1387 achtzigtausend Menschen abschlachten ließ, um aus ihren Schädeln Pyramiden zu errichten. Zweites Etappenziel (noch mal achthundert Kilometer) war die Stadt Kerman, und als wir dort am Busbahnhof ankamen, war ich auch fast tot. Ich saß in einer Joghurtbude am Straßenrand und konnte nicht mehr aufstehen, als der Bus abfuhr. Ich war zu schwach, ihm auch nur hinterherzuwinken. Was hat der Engel gemacht? «Mustafa», hat er tief im Herzen des Budenbesitzers gesagt, «Mustafa, du Mildtätiger, du Freude Allahs, hilf diesem kranken Ausländer mit den langen Haaren, bevor er krepiert.»
    Ich blieb drei Tage und drei Nächte als hochgeschätzter Gast im Haus des Joghurtbuden-Inhabers, der noch mehr Buden in der Stadt haben mußte, denn das Haus war groß, und es gab ein schönes Gästezimmer mit Tür und Fenster zum Innenhof. Ich schlief auf sieben übereinandergelegten Perserteppichen, und ich hatte das Grammophon der Familie, falls mir das Plätschern des Springbrunnens nicht mehr genügen würde. Die Frau des mildtätigen Mustafa versorgte mich mit frischen Früchten, Joghurt und Tee, ein Arzt wurde hinzugezogen, am zweiten Tag spielte ich bereits mit den Kindern der Familie, am dritten war ich gesund.
    Blieb noch das Problem mit der nichtplombierten Gaspistole an der Grenze zu Pakistan. Mirjaveh hieß die Grenzstation. Sie war genauso verrottet wie die nach Afghanistan. Auch sie roch nach Willkür, Verrat, Fliegen und Tod, und ich habe mir fast in die Hosen gemacht, als ich vor den Uniformierten trat. Er sah kein Stückchen freundlicher aus als das Fingernägelreißerchen von Islam Qala. Was wird er dazu sagen, daß in meinem Paß eine Plombe erwähnt wird, die auf meiner Pistole nicht zu finden ist? Und was werde ich daraufhin sagen? Und was dann wieder er? Bakschisch? Wovon? Das waren so insgeheim meine Fragen. Und so wurde das Wüstenfort Mirjaveh im Herzen der landschaftlich ganz und gar nicht reizvollen Provinz Belutschistan in diesem Moment erhöhter Adrenalinausschüttung sicherlich zu mehr als das, was es, nüchtern betrachtet, wirklich gewesen ist. Aber ich wollte lieber verrecken als noch einmal zurück zum Hauptquartier der Polizei von Teheran. Der Engel schnappte sich also das
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