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Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Titel: Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs
Autoren: Helge Timmerberg
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Besseren. Arm tritt böse zu. Die Sitzbänke waren aus kaltem Stahl, eng aneinandergeschraubt und komplett überladen mit den Ärmsten der Armen. Und alle saßen zusammengekauert da, die Beine angewinkelt. Aber ich mußte sie ausstrecken, sonst war das Brennen nicht zu ertragen, und in dem Gedränge sind sie draufgetreten, obwohl sie sahen, daß ich am Verrecken war. Wechselbad des Schicksals, könnte man sagen. Zwischen der glückseligen Zugfahrt nach Indien und diesem Highway to Hell lag nur eine Nacht. Soviel zu Himmel und Hölle im Niemandsland.
    Und so viele Fragen:
Sind schwere Krankheiten
(a) Schicksal oder
(b) falsches Leben?
(Wenn a, dann interessiert vielleicht auch die nächste Frage.)
Ist Schicksal
(a) Zufall oder
(b) die Hand Gottes?
(Wenn b, dann stellt sich Frage drei.)
Ist Schicksal
(a) Strafe oder
(b) Chance?
(Wenn b, dann fragt man sich …)
… Eine Chance wofür?
… Für die Liebe?
     
    Noch bevor an diesem Tag die Sonne unterging, tupfte mir eine bildschöne persische Krankenschwester sanft den Po mit Alkohol, um mir eine Penicillininjektion zu geben, und sie tat das von nun an alle zwei Stunden, Tag und Nacht, eine Woche lang, und obwohl die Spritze selbst recht unangenehm war, begann ich bald die Minuten zu zählen, bis sie wieder in das Zimmer kam, um mir die Hose herunterzuziehen. Ihr schien es ebenso Gefallen zu bereiten, denn sie spritzte mich auch dann noch weiter, als es gar nicht mehr notwendig war.
    Alle waren nett in diesem Krankenhaus. Es lag im Herzen von Zahedan, der ersten Stadt hinter der Grenze zum Iran, und die Ärzte hatten in Deutschland studiert. Sie erzählten mir immer wieder davon, und ihre Augen glänzten dabei, als hätten sie das Paradies geschaut. Kurzer Zeitcheck: Dezember 1970. Regierungsform des Gastgeberlands: Monarchie. Wer hing eingerahmt an jeder Wand? Der Schah. Lebensstil: Go West. Europäisches Bruderland: BRD. Ich hatte lange Haare, keine Schuhe und trug Hippiefetzen am Leib, war dazu rauschgiftsüchtig und bettelarm, aber ich war made in Germany. Ich brachte den Ärzten die Erinnerung an die beste Zeit ihres Lebens zurück. Dafür haben sie sich bedankt. Ich bekam die beste Medizin, das beste Essen und die schönste Krankenschwester, die sie hatten.
    Nach drei Tagen hatte sie die Schwellungen soweit heruntergespritzt, daß ich wieder gehen konnte. Humpelnd noch, aber ich ging. Sie sah es nicht gern, ich sollte mich schonen, und natürlich gefiel es ihr insgeheim dann doch, daß ich nicht zu domestizieren war. Ich erkundete das Krankenhaus. Es war recht klein, und wenn mich die Erinnerung nicht trügt, ein Rundbau. Und es hatte einen Park, mit all den Pflanzen, die in der Wüste wachsen, wenn regelmäßig gegossen wird (Rosen, Orchideen), sowie einen künstlich angelegten Teich, an dem ich träumend verweilte, bis mich ihre süße Stimme an die nächste Wumme Breitbandantibiotika gemahnte.
    Anfangs teilte ich das Krankenzimmer mit einem alten Mann, der ein untertassengroßes Loch im Bauch hatte, viel stöhnte und wimmerte und drei Tage nach meiner Ankunft starb. Jetzt wurden wir intimer, und fortan streichelte sie nicht nur mit alkoholgetränkten Wattebäuschen meinen Po, sondern kämmte mir auch das Haar. Einmal fragte sie mich, ob ich ein Foto von mir hätte. Ich besaß noch ein Paßfoto für eventuelle Visaanträge, das ich in Istanbul hatte machen lassen. Es war kein besonders vorteilhaftes Bild. Sie wollte es trotzdem.
    Am Abend kam ihre Familie zu Besuch. So zehn oder zwölf Personen. Es gab längst nicht genügend Stühle, nur Großvater und Großmutter konnten sitzen, aber man amüsierte sich. Sie redeten, sie lachten, sie zeigten mit dem Finger auf mich, und ich saß aufrecht im Bett und verstand nicht so recht. Ein Arzt wurde als Übersetzer hinzugezogen. Er gratulierte mir zur Verlobung.
    Sie hieß übrigens Leila.
    Leila und die Elephantiasis, eine Liebesgeschichte aus dem Südiran, die glücklich verlief, bis sich der Polizeichef von Zahedan einmischte. Er war ebenfalls Patient in diesem Krankenhaus. Er hatte von mir gehört und bestellte mich in sein Zimmer. Ein dicker Mann mit Schnauzer im Schlafanzug. Ich auch im Schlafanzug. Ebenfalls im Zimmer und im Schlafanzug ein kranker, in Persien halbwegs populärer Künstler. Der Künstler hatte den Job, den Polizeichef mit Witzen zu unterhalten oder auch mal was zu singen. Was mein Job werden sollte, wurde dem dicken Polizeichef irgendwann via Eingebung klar. Unter Schlafanzug-Brüdern schlug er
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