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Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Titel: Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs
Autoren: Helge Timmerberg
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Brot.
    In deinem Paß steht nicht konfisziert, sondern plombiert, sagte der Her-mit-den-kleinen-Fingernägelchen-Offizier. Sie haben dir die Pistole plombiert wieder mitgegeben. Haben sie nicht, sagte ich. Haben sie doch, sagte er. Und dann hast du sie verkauft. Stimmt nicht, sagte ich. Stimmt doch, sagte er. Illegaler Waffenhandel, er schätzte auf grob fünf Jahre. Ich fragte, ob er ein Telefon habe.
    Das war die falsche Frage. Warum Telefon? Für ein Telefongespräch! Mit wem? Mit Bazargan, wo meine Gaspistole ist. Wir haben kein Telefon. Da steht doch eins. Nein, da steht keins. Da steht kein Telefon?! Nein. Ich ging zum Telefon und legte meine Hand auf den Hörer. Das ist kein Telefon? Nein. Es waren zweitausendfünfhundert Kilometer bis Bazargan. Long distance, lonely planet. Plötzlich war ich ganz allein in dieser gottverlassenen Kies- und Geröllwüste im Dreiländereck Iran – Turkmenistan – Afghanistan und schlug etwa zwanzigtausend Fliegen tot.
    Blick zurück im Zorn, erster Teil: Mein Vater, wie er mir zum Abschied im heimischen Ostwestfalen eine Gaspistole in den Rucksack steckt.
    Blick zurück im Zorn, zweiter Teil: Der iranische Offizier, der sie bei meiner Einreise findet und einbehält.
    Blick zurück im Zorn, dritter Teil: Der iranische Offizier, der sie bei meiner Ausreise nicht findet und mich einbehält.
    Es war Vollmond, als ich komplett von Sinnen kam. Der Mann hatte mich nicht über die Grenze nach Afghanistan gelassen, und ich mußte die tausend bis tausendfünfhundert Kilometer zurück nach Teheran, um bei meiner Botschaft vorzusprechen. Ich machte mich per Anhalter auf den Weg und bin in einem Lastwagen gefahren, der gut und gerne aus den Armeebeständen des Feldmarschalls Rommel hätte geklaut sein können. Fünfundzwanzig Stundenkilometer Höchstgeschwindigkeit, und durch ein Loch über dem Motorblock strömte so heiße Luft ins Führerhaus, daß der steinalte Fahrer seinen Kopf aus dem Seitenfenster halten mußte, und der Kopf des etwas jüngeren Beifahrers hing aus dem anderen Fenster, und nur mir wurden die Lippen zu Trockenpflaumen entsaftet, weil ich direkt vor dem Loch zum Motor saß. Daß mir die Fahrt trotzdem angenehm in Erinnerung blieb, mag daran gelegen haben, daß sie mir irgendwann Opium zu essen gaben.
    Blick zurück im Opiumrausch, erster Teil: Mein Vater hatte es gut gemeint. Natürlich machte er sich größte Sorgen. Ich war noch nicht volljährig und wollte nach Indien, und das ist ziemlich weit und ziemlich unübersichtlich. Er machte sich Sorgen, sicher auch Vorwürfe. Vielleicht tat ihm etwas leid. Es war ein Akt väterlicher Fürsorge, gepaart mit einer kompletten Fehleinschätzung der Lage, denn er hat in seinen Wanderjahren (1940   –   45) an den Grenzen mehr oder weniger gern Waffen vorgezeigt.
    Blick zurück im Opiumrausch, zweiter Teil: Der Offizier, der mir die Gaspistole abnahm, war ein armes Schwein. An eine Grenzstation verdammt zu sein, wo Nacht für Nacht die Wölfe heulen, ist kein Schicksal, um das man jemanden beneiden kann. Und er verdiente praktisch nichts. Er wurde vom Staat verarscht, also verarschte er mich. Für die Pistole bekam er fünfzig Dollar auf dem Schwarzmarkt. Und mir war sie egal. Ich war Pazifist.
    Blick zurück im Opiumrausch, dritter Teil: Der Typ, der mir eben (eben?), vor Stunden (wie lange fahren wir schon durch diese Nacht?), die Fingernägel herausreißen wollte, war ebenfalls ein armes Schwein und hatte Familie und vielleicht ein krankes Töchterlein. Völlig normal, daß er von mir den Verlust ersetzt haben wollte, der ihm entstand, weil er keine Gaspistole mehr fand. Und fünfzig Dollar für zehn heile Finger ist eigentlich noch ein ganz guter Preis.
     
    Ich erreichte Teheran am frühen Morgen des darauffolgenden Tages. Ich fühlte mich krank. Ich suchte mir ein Zimmer, aber ich konnte nicht schlafen. Ich mußte zur Botschaft, ich mußte aufs Klo, eine Diarrhöe begann den Darm zu peitschen. Die Botschaft konnte mir nicht helfen. Sie schickten mich zum Polizeihauptquartier von Teheran. Die schickten mich zum Hauptquartier der Ausländerpolizei, und die hatten bereits geschlossen, als ich kam. Ich schleppte mich in mein Loch zurück und klapperte den Rest des Tages mit den Knochen. In der Nacht fingen die Fieberphantasien an. Haushohe Energiebälle rollten über mich. Das Programm am nächsten Tag: Von der Ausländerpolizei quer durch die Stadt zur Zollbehörde und von der Zollbehörde quer durch die Stadt zur
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