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Der Jakobsweg

Der Jakobsweg

Titel: Der Jakobsweg
Autoren: Carmen Rohrbach
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stört die gerade Linie der Buchenstämme. Der Anblick erinnert mich an die Moschee Mezquita in Córdoba. Ich verspüre Ehrfurcht, friedfertige Eintracht, mystischen Gleichklang und Geborgensein in einem stillen Geheimnis.
    Erst jetzt bemerke ich die Stille. Kein Vogelruf, nicht einmal ein Knistern und Rauschen. Der Nebel dämpft jeden Ton, selbst meine Schritte sind kaum hörbar.
    Schlagartig verschwindet der Nebel, als ich an den Rand des toten Waldes gelange. Mischwald schließt sich an. Weiche Moospolster laden zum Rasten ein. Ich lasse mich aber nicht verführen. Es beginnt zu dunkeln und da es nach Regen aussieht, will ich nicht im Wald übernachten. Der Weg fällt nun nicht mehr so steil ab. Die Blütenkerzen des Aphodill leuchten weiß im Dämmerlicht und schwarze Wegschnecken, länger als eine Handspanne, kriechen schleimig über den Waldboden. Plötzlich ein lautes Knacken und Rascheln im Unterholz. Ich erschrecke heftig. Bevor ich an Flucht denken kann, bricht ein großes Tier aus dem nachtdunklen Wald. Vor Schreck kann ich mich kaum rühren. Da ist der mächtige Körper nur noch eine Armlänge von mir entfernt. Erleichtert lache ich - es ist nur eine Kuh! Ein schönes Tier. Im Abendlicht glänzen die Spitzen ihrer weitgeschwungenen Hörner elfenbeinfarben. Überrascht von der plötzlichen Gegenwart eines Menschen, ist die Kuh mitten auf dem Weg stehengeblieben. Sie schwingt ihren Kopf hin und her und schnauft verlegen. Beruhigend spreche ich auf sie ein. Da trollt sie sich langsam. Jetzt tritt sie leise und vorsichtig auf, kaum ein Zweig knackt.
    Ich gehe weiter. Der Wald lichtet sich. Ich sehe Steinmauern und Gebäude - das ist Roncesvalles.
     

3 Roncesvalles
     
    Der Pater redet viel und schnell. Ich muß mich erst wieder an die spanische Sprache gewöhnen und habe deshalb Mühe, ihn zu verstehen. Er ist ein kleiner, lebhafter Mann mit rundem, lebensfrohem Gesicht.
    Ich habe in dem Restaurant neben dem Kloster gerade mein »Pilgeressen« bekommen, wie es in der Speisekarte bezeichnet wurde: Spiegeleier, Pommes frites, Tomatensoße und Rotwein, als Pater Sampedro eintritt und sofort auf mich zukommt.
    »Usted es una peregrina, verdad«, sagt er zur Begrüßung, »Sie sind eine Pilgerin, nicht wahr? Ich erkenne Sie an Ihrem Rucksack. Bei mir bekommen Sie einen Pilgerausweis und wenn Sie wollen, können Sie auch in unserer Pilgerherberge übernachten. Ich muß jetzt die Messe lesen, kommen Sie danach zu mir!«
    Und schon ist er wieder zur Tür hinaus. Ich bin überrascht: Pilgerausweis, Pilgerherberge? In welche Zeit habe ich mich denn da verirrt? Das gab es früher einmal. Aber heute? Im Mittelalter erhielten die aufbrechenden Pilger von ihrer Heimatgemeinde eine Urkunde mit dem Stempel des Bischofs, als Ausweis, wahre Pilger und keine Landstreicher zu sein. Unentgeltlich durften sie ein Lager für je eine Nacht in den Herbergen beanspruchen, außerdem bekamen sie mindestens ein Stück Brot als Wegzehrung, in den reichen Gemeinden auch Suppe, oft sogar noch Fleisch und Wein.
    »Das Pilgerrecht verpflichtete jeden Bürger, ob er nun arm oder reich war, die Pilger zu beherbergen«, berichtet der Pater, als ich ihn nach der Messe aufsuche.
    »Wer vor einem Pilger die Tür verschloß, verdarb es sich mit dem heiligen Jakob.« Er lächelte pfiffig. »Sind Sie noch nicht zu müde vom Weg? Dann können wir noch ein wenig plaudern.«
    Er führt mich in einen schmalen Raum, der mit dunklem Holz verkleidet ist. Hohe Bücherregale und verschlossene Schränke verstellen bis zur Decke die Wände. In einer Ecke stehen ein runder Holztisch und Lederstühle mit breiten Armstützen. Wir setzen uns. Erst jetzt, in dieser holzbraunen Umgebung, fällt mir auf, daß auch der Pater ganz in Braun gekleidet ist: mittelbrauner Pullover, kaffeebraune Hose, dunkelbraune Schuhe. Doch nicht nur die Kleidung, auch seine Haare sind braun und seine buschigen Augenbrauen ebenso. Am auffallendsten aber sind seine kastanienbraunen Augen, glänzend und groß wie Glasmurmeln.
    »Es kam vor, daß man den Pilgern keine Unterkunft gewähren wollte«, beginnt er mit seiner Erzählung. »Einmal baten zwei Pilger, die sehr erschöpft waren, in einer Ortschaft um ein Nachtlager. Niemand ließ sie ein. Ganz am Rande des Städtchens wohnte ein armer Mann. Er war der einzige, der sich der Notleidenden erbarmte. Die Pilger zogen am nächsten Morgen weiter. In der darauffolgenden Nacht verwüstete ein Feuer die Stadt. Alle Häuser brannten nieder. Nur
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