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Der Jadereiter

Der Jadereiter

Titel: Der Jadereiter
Autoren: John Burdett
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Wassertropfen von geschmolzenem Eis, die im Licht funkelten wie Diamanten. Im einen Ohr trug er drei Perlen, im anderen nichts.
    Mit meiner Unterschrift bestätigte ich den Empfang von Pichais persönlicher Habe, darunter seine Buddhakette und ein Sack mit seinen Kleidern; dann fuhr ich nach Hause in das Wohnloch, das ich in einem Vorort am Fluß gemietet habe. Eigentlich hätte ich sofort im Polizeirevier Bericht erstatten und Formulare ausfüllen müssen, aber in meinem Kummer wollte ich den anderen Cops nicht begegnen, die immer auf die Freundschaft zwischen mir und Pichai eifersüchtig gewesen waren.
    Das Dharma lehrt uns die Flüchtigkeit aller Phänomene, doch auf den Verlust dessen, was man mehr liebt als sich selbst, ist man einfach nicht vorbereitet.
    Die Einheiten auf Pichais Handy waren zu Ende, als ich versuchte, meine Mutter von meinem Zimmer aus anzurufen. In meiner Wohnanlage gibt es auf jedem Stockwerk nur im Büro der Verwaltung ein Telefon. Unter den Augen der fetten Angestellten, die eine Vorliebe für Reischips mit Shrimpsgeschmack hat, wähle ich die Nummer meiner Mutter, die in der schwül-dampfigen Ebene etwa dreihundert Kilometer nördlich von Krung Thep lebt, in Phetchabun. Sie und Pichais Mutter sind frühere Kolleginnen, enge Freundinnen, die sich nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben in ihre Heimatstadt zurückzogen, dort ein Grundstück erwarben und zwei protzige Paläste darauf bauten; soll heißen: Die zweistöckigen Häuser mit den grünen Dächern und den überdachten Balkonen sind nach dem dortigen ländlichen Standard so etwas wie Paläste. Während ich warte, daß meine Mutter sich meldet, höre ich das Knirsch-Knirsch-Knirsch der Reischips zwischen Fat Soms Zähnen. Ihren Blick empfinde ich wie die Last von hundert Säcken Reis auf meinen Schultern, denn sie spürt meine Niedergeschlagenheit.
    Ich weiß, ich bin feige, weil ich Pichais Mutter nicht selbst anrufe, aber das schaffe ich nicht. Es könnte sein, daß ich die Fassung verliere, wenn ich mit ihr spreche. Meine Mutter Nong kann solche Dinge viel besser als ich.
    Ich lausche auf das Klingeln. Meine Mutter kauft sich jedes zweite Jahr ein neues Handy, weil sie immer das kleinste Modell möchte. Jetzt besitzt sie ein Motorola, das so winzig ist, daß sie es in den Ausschnitt stecken kann. Ich stelle mir vor, wie es zwischen ihren Brüsten klingelt und vibriert. Ihre Stimme klingt immer ein wenig mißtrauisch, wenn sie rangeht, denn es könnte ja ein früherer Liebhaber sein, vielleicht ein farang aus Europa oder Amerika, der mitten in der Nacht Sehnsucht nach ihr hat. Die Einsamkeit der farangs kann sich zu einer tödlichen Krankheit auswachsen, die ihr Gehirn vernebelt und sie quält, bis sie den Verstand verlieren. Dann ergreifen sie jeden Strohhalm, und sei es auch nur eine Nutte in Bangkok, mit der sie während einer Sexreise vor langer Zeit mal eine Woche zusammen verbrachten.
    Meine Mutter hat sich vor mehr als zehn Jahren aus dem Berufsleben zurückgezogen, bekommt aber von Zeit zu Zeit immer noch Anrufe. Daran ist sie selbst schuld, weil sie Gespräche unter ihrer alten Nummer auf das neue Handy umleiten läßt. Vielleicht wartet sie ja nach wie vor auf diesen einen Anruf? Möglicherweise genießt sie auch nur die Macht, die sie über verzweifelte weiße Männer hat.
    »Halloo?«
    Als ich ihr die Sache mit Pichai erzähle, verschlägt es ihr tatsächlich auch einmal die Sprache. Ich lausche auf ihren Atem, ihr Schweigen, ihre Liebe – auf diese Frau, die ihren Körper verkaufte, um mich großziehen zu können.
    »Das ist ja schrecklich, Sonchai«, meint sie schließlich. »Soll ich’s Pichais Mutter für dich sagen?«
    »Ja, ich glaube nicht, daß ich ihre Trauer im Moment ertragen würde.«
    »Sie ist nicht so groß wie deine. Willst du ein paar Tage zu mir kommen?«
    »Nein. Ich werde die Leute umbringen, die ihn getötet haben.«
    Schweigen. »Das weiß ich. Aber sei vorsichtig, mein Lieber. Das scheint eine große Sache zu sein. Du kommst doch zur Beisetzung, oder?«
    Darüber habe ich auf dem Weg von der Leichenhalle nach Hause nachgedacht. »Nein, ich glaube nicht.«
    »Sonchai?«
    »Begräbnisse auf dem Land …«
    Pichais Leiche wird in einem Pavillon auf dem Anwesen des örtlichen wat liegen, während eine Kapelle den ganzen Nachmittag lang Klagelieder spielt. Bei Sonnenuntergang wird die Musik dann lebhafter werden, weil Pichais Mutter dem Wunsch der Nachbarn entsprechend ein Fest veranstaltet. Es wird
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