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Der Jadereiter

Der Jadereiter

Titel: Der Jadereiter
Autoren: John Burdett
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Bodhi-Baum mit Luftwurzeln und einer Holzbank frei.
    »Siehst du« – ich zucke zusammen, denn wieder spricht Pichai mit Warrens Stimme auf thai zu mir – »das ist sein Wesen: Das Leben befindet sich draußen, auf der anderen Seite des Glases. Innen besteht er aus Stein. So ist der farang. «
    »Er hat mir meinen abgeschnitten, da habe ich ihm das gleiche angetan.« Jetzt zischelt Fatimas Stimme aus seinem Mund. Ich bekomme eine Gänsehaut, doch die Gestalt auf dem Bett scheint die Besucher nicht zu bemerken.
    »Wissen Sie, welche Lektion der farang, der versucht, den Osten zum Narren zu halten, als letzte lernt?« fragt er mit Warrens amerikanischer Stimme. »Daß er sich von Anfang an selbst zum Narren gemacht hat. Der Witz besteht darin, ihm das erst zu sagen, wenn’s zu spät ist.« Er packt meine Hand fester. »Ihr habt mehr Geduld, eine längere Geschichte, seid schlauer und geschicktere Hexenmeister – und die Sonne geht bei euch zwölf Stunden früher auf als bei uns. Wie sollen wir da gewinnen?«
    »Er wollte Menschen, Juwelen gleich, schaffen«, sagt Fatima. »Aber wer möchte ihn schon kaufen?«
    »Hab Mitleid«, drängt Pichai.
    »Quatsch«, erwidert Fatima.
    »Wer sich zu sehr in den Westen vertieft, wird selbst zu Stein«, sagt Warren. »Fast wäre es so simpel. Früher oder später beginnt man, auf die eine oder andere Weise mit Menschen zu handeln. Und wenn man mit ihnen handelt, warum sollte man sie dann nicht auch verändern? Ach, die dämonische Schönheit des menschlichen Körpers! Wer könnte der Versuchung widerstehen, ihn zu bearbeiten wie die feinste Jade, wenn man erst einmal erkennt, daß man die Macht dazu besitzt? Man überschreitet die Grenze, ohne es zu merken. Amerika ist der Kontinent des Todes, das ist seit Tausenden von Jahren bekannt. Ich bin alles gewesen in der großen kosmischen Lotterie: Frau, Mann, Dieb, Prinz, Sklave; ich halte mich schon zu lange auf dieser Erde auf. Der Körper ist nur eine Puppe, aber er korrumpiert den Geist. Glauben Sie, ich bin der einzige? Dies ist ein Teufel, der sich nur schwer bezwingen läßt, Detective. Die Verlockung ist unbeschreiblich. Ich habe mir eine Form gewünscht, in der ich mich verlieren könnte, aber immer ist mir diese Form entglitten. So sieht die Wahrheit über mich aus, ob sie Ihnen gefällt oder nicht.« Er sieht mich an – doch wer steckt hinter diesen Augen? »Designerkörper aus menschlichem Abfall – meinen Sie, wir werden der Versuchung widerstehen können, wenn das amerikanische Reich erst einmal in der Pubertät steckt?«
    Als sich die Tür öffnet und Dr. Surichai hereinkommt, werfe ich ihm einen hilflosen Blick zu. Er nickt verständnisvoll.
    »Spricht er mit Fatimas Stimme? Unheimlich, nicht? Ich kann das auch nicht erklären – jedenfalls nicht mit westlicher Wissenschaft, aber ein Meditierender wie Sie hat darauf sicher seine eigene Antwort. Er benutzt auch noch eine andere Stimme, in makellosem, sehr umgangssprachlichem Thai, viel besser als das, das er selbst beherrscht. Wer ist das?«
    »Mein toter Bruder«, flüstere ich.
    Ein Achselzucken. »Kein farang würde das begreifen – aber für uns ist es nicht völlig absonderlich, stimmt’s? Sie sollten jetzt gehen. Wie gesagt, er ist sehr schwach. Wenn Sie wollen, können Sie morgen wiederkommen.«
    Tränen laufen über Warrens Gesicht, als wir uns aus dem Raum entfernen.
    Auf dem Flur sage ich: »Gibt es eine nächste Stufe, oder werden Sie ihn so lassen, wie er jetzt ist?«
    »Das hängt ganz von Fatima ab.« Als er meinen erstaunten Blick sieht, fügt er hinzu: »Das gehört zur Abmachung. Die … Teile lagern unter Bewachung in ihrem Penthouse.« Er sieht auf die Uhr. »Und ihr bleiben noch etwa sechs Stunden für die Entscheidung. Bis jetzt läßt sie nicht mit sich reden, und ohne das Material kann ich nichts tun. Ich glaube, Sie würden besser an sie herankommen als ich. Besitzt sie buddhistisches Mitgefühl? Haben Sie Einfluß auf sie?«

52
    Zwei Monate später
     
    Hab ich’s Ihnen nicht gesagt, daß sie wiederkommen würde? Ich warte am Bangkok International Airport, bekleidet mit meinem besten Khakihemd, einer schwarzen Hose und scheußlichen schwarzen Schnürschuhen.
    Der Thai-Airways-Flug von San Francisco über Tokio und Hongkong hat eine Stunde Verspätung, doch jetzt zeigt der Monitor an, daß der Flieger gelandet ist. Zwanzig Minuten später taucht Kimberley mit einem beigefarbenen Hosenanzug auf. Ihre Haare haben wieder ihren blonden
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