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Der Jadereiter

Der Jadereiter

Titel: Der Jadereiter
Autoren: John Burdett
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Naturton; sie trägt sie kurz, aber nicht zu kurz. In ihrem linken Ohr stecken drei Ohrringe, im rechten ist nur einer. Der Lippenstift schimmert dezent pink. Als sie zur Begrüßung ihre Wange gegen die meine drückt, atme ich einen vertrauten Duft ein, der mich an meine Mutter erinnert.
    »Van Cleef und Arpels«, sage ich lächelnd.
    »Genau.«
    Ich weiß nicht recht, ob ich ihr mit dem Gepäckwagen voll purpurfarbener Samsonite-Koffer helfen soll. Wie sieht die Etikette in so einem Fall aus? Eine Thai-Frau wäre beleidigt, wenn ich ihn nicht schieben würde, aber vielleicht ist eine Amerikanerin ja eingeschnappt, wenn ich es tue? Ich beschließe, den Wagen Kimberley zu überlassen.
    Auf dem Rücksitz des Taxis fragt Kimberley: »Überrascht?«
    »Daß du Anteile an dem Club meiner Mutter gekauft hast? Ja, anfangs schon, aber als Nong mir erzählt hat, daß sie seit längerem in E-Mail-Kontakt mit dir steht, war alles klar. Hast du Urlaub?«
    »Ja, ein ganzes Jahr, unbezahlt.« Ein kurzer Blick in mein Gesicht. »Weiße Männer sind nicht die einzigen, die diese Stadt unwiderstehlich finden, also kann’s nicht nur am Sex liegen, oder?«
    »Und woran liegt’s dann?« frage ich.
    »Ich weiß es nicht. Jedenfalls ist hier alles so verdammt menschlich.« Schweigen. »Immer noch nichts Neues von Fatima?«
    Ich zögere kurz, bevor ich antworte: »Nein. Sie ist verschwunden, nachdem sie ihre … Entscheidung getroffen hat.« Mit einer übertriebenen Geste deute ich einen endgültigen Abschied an – ich will die Überraschung am Abend nicht verderben.
    »Glaubst du, es ist was dran an dem, was sie dir damals gesagt hat, daß sie so etwas ist wie dein Schatten, deine dunkle Seite? Daß du sie brauchst?«
    Um von dem Thema abzulenken, reiche ich Kimberley die erste Seite der Bangkok Post, auf der ein Foto meiner Mutter in einem echten schwarz-weißen Chanel-Kostüm abgedruckt ist. Der Redakteur hat die Antwort meiner Mutter auf eine Reporterfrage anläßlich der offiziellen Eröffnung des Old Man’s Club am heutigen Abend mit Leuchtstift markiert:
     
    Offen gestanden widert mich die westliche Heuchelei an. Warum dreht die BBC keine Dokumentation über die Bekleidungsindustrie, wo die Frauen jeden Tag zwölf Stunden für weniger als einen Dollar die Stunde arbeiten? Verkaufen sie vielleicht nicht ihren Körper? Dem Westen ist die Ausbeutung unserer Frauen egal; er hat ein Problem mit Sex, braucht aber den sexuellen Reiz für seine Fernsehshows. Er liebt es, weiße Männer mittleren Alters in Verlegenheit zu bringen, die die Dienste unserer Mädchen in Anspruch nehmen. Westliche Frauen verkraften es einfach nicht, daß ihre Partner hier mehr Spaß haben als bei ihnen. Wenn sie ihnen das Vergnügen nicht gönnen, ist das ihr Problem. Letztlich geht’s ums Geld. Thailand nimmt sehr wenig ein durch Branchen wie die Bekleidungsindustrie – dort streichen westliche Unternehmen den Löwenanteil ein. Aber im Sexgewerbe sehen wir eine echte Umverteilungsmöglichkeit für die globalen Reichtümer von West nach Ost. Deshalb hat der Westen in dieser Hinsicht einen Knacks weg.
     
    Kimberley gibt mir den Artikel mit einem Grinsen zurück. »Die Lady hat Mumm. Welche Bücher hat sie in den letzten Monaten gelesen? Mir ist aufgefallen, daß sich ihr Englisch verändert hat.«
    »Sie belegt einen Internet-Business-Kurs nach dem anderen. Ihre Theorie sieht folgendermaßen aus: Wenn Sex die wichtigste Industrie Thailands ist, sollten wir sie modernisieren und strukturieren, damit die Mädchen besser wegkommen. Ihrer Meinung nach müssen sie eine Chance auf einen Neuanfang nach dem Rückzug aus dem Berufsleben mit achtundzwanzig sowie einen Anteil am Gewinn erhalten. Sie kennt die gesamte Terminologie der Geschäftswelt – Profit-Centers, Mehrwert, Dienstleistungsbereich, Human Resources. Sie behauptet, das Gewerbe stecke immer noch in der Steinzeit, und fordert von der Regierung Unterstützung statt Behinderung.«
    Auf der Schnellstraße brauchen wir zum Sheraton an der Sukhumvit Road weniger als dreißig Minuten. Ein Augenblick beiderseitiger Unsicherheit, dann sage ich: »Bis heute abend.«
    »Ja.« Sie wirkt nervös. »Heute abend. Weißt du was? Ich bin noch nie in einem Bordell gewesen, auch wenn ich jetzt Anteile an einem besitze.«
    Beim Abschied lächle ich aufmunternd, obwohl ich selbst sehr aufgeregt bin. Vor ein paar Tagen hatten wir die erste Gewinnverteilung, und ich konnte es kaum fassen, wieviel Geld wir in den wenigen
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