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Der italienische Geliebte (German Edition)

Der italienische Geliebte (German Edition)

Titel: Der italienische Geliebte (German Edition)
Autoren: Judith Lennox
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Er musste einräumen, dass Rebecca recht hatte, sie würden vielleicht tatsächlich etwas von ihrem Nimbus einbüßen, wenn sie nach Oxford übersiedelten. Und so waren sie geblieben.  
    Im Grunde genommen passte es ihm sehr gut, ein-, zweimal die Woche in Oxford zu arbeiten, wo ein Freund, der einen Teil des Jahres im Ausland lebte, ihm erlaubte, sein Arbeitszimmer zu benutzen. In mancher Hinsicht, gestand er sich mit etwas schlechtem Gewissen ein, war es sogar besser, außerhalb zu wohnen. Das ließ ihm mehr Freiheit, mehr Spielraum , könnte man sagen. Seine Gedanken schweiften zu dem halbfertigen Roman, der zu Hause wartete – er steckte fest, war in den letzten drei Wochen nicht ein Wort vorangekommen, dabei hatte er versprochen, das fertige Manuskript in spätestens vier Monaten vorzulegen. Wenn er in Oxford lebte, hätte er vielleicht endlich ernsthaft loslegen können. Das abwechslungsreiche städtische Leben hätte ihn vielleicht inspiriert.  
    Milo hatte einen weiten Weg zurückgelegt. Als spät geborenes Einzelkind hatte er seine Eltern von Geburt an mit seiner Schönheit und seiner Frühreife überrascht und entzückt. Das ganze häusliche Leben hatte sich um Milos Wünsche und Bedürfnisse gedreht; seine Eltern hatten am Essen gespart und auf Reisen verzichtet, um ihren begabten Sohn auf eine Privatschule schicken zu können. Das elterliche Haus war eine kleine Backsteinvilla in einer sterilen Vorstadt von Reading gewesen. Milos Lieblingsaufenthalt war die nur wenige Straßen entfernte öffentliche Bibliothek. Wenn Journalisten ihn nach seinem Werdegang fragten, pflegte er diesen Teil der Geschichte etwas aufzubereiten, weil er wusste, dass die Lektüre sonst für den Leser viel zu langweilig wäre.  
    Nach Kriegsende hatte ein Stipendium ihm den Weg nach Oxford geebnet, wo er gesellschaftlich reüssierte und akademisch nur geringfügig weniger brillierte. Während der Recherchen für seine Dissertation über die metaphysische Dichtung, bei denen er sich hoffnungslos verzettelte, hatte er Penelopes Webstuhl geschrieben . Der Romanwar vom Tag seines Erscheinens an erfolgreich. Der Kritiker der Times urteilte, ›Mythos und Moderne sind hier intelligent miteinander verwoben – ein Triumph‹. Ein zweiter, ebenso erfolgreicher Roman folgte. Milo konnte es sich leisten, seine Recherchen an den Nagel zu hängen und für die Gesellschaft für Erwachsenenbildung in Oxford eine Reihe von Vorlesungen über moderne Lyrik zu halten, die ungeheuren Anklang fanden. Er wusste, dass er ein guter Lehrer war – er sprach immer frei, und oft ließ er sich von der Inspiration auf Seitenwege führen, die in eine ganz andere Richtung gingen als die ursprünglich geplante.  
    Auch heute noch hielt Milo zweimal im Jahr regelmäßig Vorlesungen, und sie waren immer noch gut besucht. Er hatte von Beginn an gemerkt, dass unter seinen Hörern die Frauen überwogen und seine Studentinnen keineswegs nur arme kleine Ladenmädchen oder Tippsen waren, die nach Bildung hungerten. Leute aller Art – Frauen aller Art – fanden sich zu seinen Literaturgesprächen ein. Einige waren verheiratet, andere waren unverheiratet oder verwitwet. Einige studierten am Somerville oder St. Hilda’s College; andere lebten zu Hause bei ihren Eltern und warteten auf den idealen Ehemann. Nach jeder Vorlesung drängten sie sich um ihn und bestürmten ihn mit Fragen. Danach begleitete eine ausgewählte Gruppe ihn ins Eagle and Child in St. Giles, wo man zusammen noch ein Glas trank. Rebecca nannte seine Studentinnen nach den wilden Anhängerinnen des griechischen Gottes Dionysos Milos Mänaden . Als sie ihm gegenüber den Spitznamen zum ersten Mal erwähnte, hatte sie so einen gewissen Blick gehabt, also hatte Milo gelacht und gesagt, ja, das sei ganz zutreffend, seine Studentinnen seien laut, schlecht gekleidet und nicht immer unheimlich feminin. Dann hatte er Rebecca geküsst, bevor sie noch etwas sagen konnte.  
    Milo warf seine Zigarette weg und ging weiter. Der Weg führte ein Stück über die Höhen, bevor er langsam in das Waldstück bei Meriels Schule abfiel. Er wanderte immer gern auf geschlängelten Pfaden zwischen den Bäumen hindurch, ehe er den Rückweg zur Alten Mühle antrat.  
    Gleich am Wald war ein kleiner runder Weiher, der im Sommer oft austrocknete. Als er bemerkte, dass sich hinter den Bäumen etwas bewegte, trat er an den Rand des Wäldchens und spähte durch das winterlich nackte Geäst.  
    Eine schwarz gekleidete
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