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Der italienische Geliebte (German Edition)

Der italienische Geliebte (German Edition)

Titel: Der italienische Geliebte (German Edition)
Autoren: Judith Lennox
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steinernes Meeresungeheuer mit gerolltem schuppigem Schweif es immer von Neuem ausspie.  
    Tessa zog ihre Sandalen aus und lief barfüßig die Mauer rund um das Becken entlang. Statuen schmückten das Rondell. Es waren Musen oder Nymphen, Tessa konnte sich nicht erinnern. Geraffte Marmorgewänder, die sie mit zierlichen Fingern vergeblich festzuhalten suchten, enthüllten weiße Brüste und runde Gesäße. Tessa fand ihre Gesichter dümmlich und langweilig.  
    Unter dem Sommerkleid hatten sie ihren Badeanzug an. Sie zog sich das Kleid über den Kopf und ließ es auf die Mauer fallen. Dann sprang sie kopfüber ins Wasser.  
    Das Becken war tief, um die sechs Meter oder so. Mrs. Hamilton hatte ihr erzählt, dass die Menschen im Haus in Zeiten der Dürre das Wasser aus dem Becken getrunken hatten. Tessa konnte nur hoffen, dass sie es vorher abgekocht hatten, es war schlierig von Wasserlinsen. Sie musste immer ohne Nachdenken, wie aus dem Impuls heraus, hineinspringen, um das Grausen vor den glitschigen Fäden, die sich zwischen ihre Finger und Zehen setzten, gar nicht erst aufkommen zu lassen. Unter der Oberfläche war das Wasser von einem tiefdunklen trüben Grün. In der Mitte stand die Steinsäule, die das Seeungeheuer trug. Beim letzten Besuch der Zanettis hatten sie ein Wetttauchen ausgetragen, um zu sehen, wer die meisten Runden um die Steinsäule schaffte, ehe er wieder Luft holen musste. Guido hatte gewonnen; sie sah ihn vor sich, ein geschmeidiger dunkler Körper, der unter Wasser dahinschoss.  
    Die Zanettis – der zweiundzwanzigjährige Guido, sein achtzehnjähriger Bruder Alessandro und seine Schwester Faustina, mit vierzehn die Jüngste – waren Freunde der Nicolsons und der Hamiltons. Guidos Vater Domenico war der Geliebte von Tessas Mutter. Guido hatte das Tessa letztes Jahr erzählt, und Tessa wiederum hatte es Freddie erzählt. Beide gönnten ihrer Mutter diese Beziehung. Mit Domenico Zanetti war sie glücklich, während sie an der Seite ihres Vaters, der sehr jähzornig und scharfzüngig gewesen war, oft gelitten hatte. Tessa, die ihre Mutter sehr liebte, war immer besorgt um sie.  
    Domenico Zanetti war Eigentümer einer Seidenmanufaktur im San-Frediano-Viertel von Florenz. Seine Frau Olivia hatte ein langes Gesicht und einen flachen Busen. Ihre braunen und beigefarbenen Kleider und Kostüme waren gediegen, saßen aber nie richtig auf ihrem langen, dünnen Körper – immer schlug der Stoff irgendwo Falten, wo keine sein sollten. Wenn man Tessa gefragt hätte, so hätte sie weiches Lachsrosa oder vielleicht ein helles Seegrün vorgeschlagen, Töne, die Olivias gelblichem Teint etwas mehr geschmeichelt hätten. Tessa vermutete, dass Guido ihr die Geschichte zwischen ihrer Mutter und seinem Vater verraten hatte, um sie zu schockieren – aber das war ihm nicht gelungen. Inmitten der schillernden Gemeinde von Malern und Poeten aufgewachsen, die aus dem bedrückenden Grau ihrer nördlichen Heimat nach Italien geflohen waren, war sie kaum noch zu schockieren.  
    Erst als sie das Gefühl hatte, gleich würde ihre Lunge bersten, schwamm sie wieder zum smaragdgrünen Licht hinauf und schnappte gierig nach Luft, sobald sie die Wasseroberfläche durchstoßen hatte. Danach ließ sie sich mit geschlossenen Augen auf dem Wasser treiben. Am Abend würden sie mit den Zanettis zusammen essen. Sie würde ihr neues lila Seidenkleid anziehen und Freddie das mandelblütenfarbene. Domenico Zanetti hatte ihrer Mutter die Stoffe geschenkt, die in den Zanetti-Werkstätten gewoben worden waren, und sie und Tessa hatten gemeinsam die Kleider genäht. Tessa liebte schöne Kleider, verschlang jede Modezeitschrift, die ihr in die Hand fiel und war eine geschickte Schneiderin. Sie beschloss, ihre Mutter zu überreden, sie an diesem Abend den Wakeham-Granatschmuck tragen zu lassen. Das Collier hatte ihrer Urgroßmutter gehört und war eines der wenigen Schmuckstücke, die Christinas Ehe mit Gerald Nicolson überlebt hatten. Tessa liebte die Granate, sie würden ganz wunderbar zu ihrem neuen Kleid passen.  
    »Du hast Wasserlinsen in den Haaren«, sagte jemand über ihr.  
    Tessa öffnete die Augen. Guido Zanetti stand am Rand des Beckens, einen Fuß auf der Mauer.  
    »Eure Haushälterin hat gesagt, ihr schlaft alle«, erklärte er. »Da wollte ich ein bisschen im Park herumspazieren. Komm doch mal her.«  
    »Warum?«  
    »Damit ich dir die Pflanzen aus den Haaren ziehen kann.«  
    Seine Augen lachten. Tessa
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