Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der italienische Geliebte (German Edition)

Der italienische Geliebte (German Edition)

Titel: Der italienische Geliebte (German Edition)
Autoren: Judith Lennox
Vom Netzwerk:
ansprechend gewesen, und seither sah Milo sich, wenn er mit dem Hund über die Hügel marschierte, ab und zu ganz gern so, wie er damals abgebildet worden war: ein Mann mit langem schwarzen Mantel und windzerzaustem dunkelblonden Haar (er trug selten einen Hut, obwohl Rebecca das immer wieder bekrittelte), der festen Schrittes Feld und Heide durchstreifte, während der Spaniel ihm voraussprang.  
    Es war Mitte Januar, und sie machten gerade eine Kältewelle durch. Milos Weg führte an gepflügten Feldern vorbei, die flach, aber stetig anstiegen. Die aufgeworfenen Wälle dunkelbrauner Erde waren mit Reif gesprenkelt, in den Furchen hatte sich gelb-grün schimmerndes Eis gesammelt und an jedem bleichen Halm und Stängel glitzerten Kristalle. Der Atem des Spaniels, Julia mit dem seidigen, braun-weißen Fell, stieg in kleinen Wölkchen in die Luft.  
    Milo, der ein kraftvolles, wortgewaltiges Gedicht über den Winter in Oxfordshire in sich reifen fühlte, suchte nach einer ersten Zeile, während er den Pfad hinaufstieg, auf der einen Seite das Feld, auf der anderen einen Silberbirkenhain. Der Gedichtband, an dem er arbeitete, war ein Vorstoß in Neuland; bisher hatte er nur Romane veröffentlicht. Nach einer Weile blieben die Bäume zurück, und er erreichte die offenen Höhen. Er hielt inne und zündete sich eine Zigarette an, während er sich umschaute. Der Blick von hier oben wirkte immer aufmunternd. Hoch schwebten die Hügelkuppen über dem blauen Dunst der Täler, wo die Kirchtürme in silbernem Glanz leuchteten. Heute würde er es nicht unter zehn Kilometern tun, beschloss er und stellte sich vor, wie er am Abend beiläufig zu seinen Gästen sagte, ja, ich habe heute Morgen ein Gedicht hingeworfen und am Nachmittag einen Zehn-Kilometer-Marsch gemacht. Er sah sich gern als eine Art Allrounder, einen modernen Renaissancemenschen – so oft kamen Schriftsteller krummrückig und zerknautscht daher; er würde niemals so werden.  
    Eine seiner bevorzugten Wanderungen führte zu Meriels Schule. Er blieb stets auf dem Fußweg und achtete darauf, jeden Ort zu meiden, wo ihm Meriel selbst begegnen könnte. Sie war eine schwierige Zeitgenossin und konnte ganz schön ruppig sein. Manchmal fiel es ihm schwer zu glauben, dass sie und Rebecca Schwestern waren. Dennoch bemühte er sich immer, freundlich zu sein, denn sie hatte ja wirklich den Schwarzen Peter gezogen, die Arme – immer die unscheinbare, reizlose Schwester. Mit dem Tod ihres Verlobten, der im Krieg gefallen war, war ihre einzige Chance, einen Mann zu finden, dahin gewesen. Milo war froh, dass Meriel wegen ihrer Arbeit am Abend nicht zu seiner Geburtstagsfeier kommen konnte.  
    Die höchste Erhebung in dieser Gegend hier war als Herne Hill bekannt. Milo, der gern ein wenig in der Mythologie des Landes herumstöberte, hatte nichts entdeckt, was auf eine Verbindung des Gebiets mit dem keltischen Gott Herne hingewiesen hätte, dennoch schien ihm der runde Bergkegel von Geheimnis umwittert. Immer war es hier oben kälter, und an manchen Tagen fegte ein schneidender Wind rund um die Kuppe. Die Eröffnungszeile seines Gedichts war zum Greifen nahe – Hernes Heimat: Hügel des Horngottes … Nein, zu viel Alliteration, wie zweitrangiger Gerald Manley Hopkins. Aber er hatte einen Titel für seine Sammlung: Mittwinterstimmen . Ja. Milo lächelte, dann runzelte er die Stirn. Oder vielleicht lieber Hoch Mittwinterstimmen ?  
    Am Vortag hatte er seiner Sekretärin, Miss Tyndall, das erste Dutzend Gedichte zum Abtippen gegeben. Miss Tyndall, um die fünfzig, mit buschigen Augenbrauen und einem Muttermal, aus dem Haare sprossen, war unglaublich tüchtig. Rebecca hatte sie unter einem halben Dutzend Bewerberinnen für ihn ausgewählt.  
    Vor einigen Jahren hatte er vorgeschlagen, sie sollten vom Land nach Oxford umziehen, aber Rebecca hatte nichts davon hören wollen. Sie liebte das Haus, eine umgebaute alte Mühle. Es könnte kaum besser gelegen sein, hatte sie erklärt, in der Nähe von Meriel und nicht zu weit von (oder zu nahe bei) ihrer Mutter. Außerdem kämen alle Leute immer gern in die Alte Mühle. Es wäre nicht mehr dasselbe – die Rycrofts wären nicht mehr dieselben –, wenn sie nach Oxford hineinzögen. Die Alte Mühle gehöre einfach zu ihnen: Jeder erinnere sich an die Gesellschaften und Feste bei den Rycrofts. Ich war neulich in der Alten Mühle eingeladen , hatte Milo einmal einen seiner Studenten triumphierend einem Kommilitonen mitteilen hören.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher