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Der Hypnosearzt

Der Hypnosearzt

Titel: Der Hypnosearzt
Autoren: Heinz G. Konsalik
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hielt regelmäßig Seminare an der Universität Salzburg. Und dort, an einem Nachmittag, klemmte er eine Reihe von Röntgenbildern auf den Leuchtschirm. Es waren Vorher-Nachher-Aufnahmen. Zwischen dem ersten und dem letzten Bild lagen immer drei Monate. Die Aufnahmen zeigten die Krebsentwicklung bei vier Patienten, drei Männern und einer Frau. Es handelte sich jedesmal um ein Lungenkarzinom.
    Stefan stand mit den anderen Seminarteilnehmern hinter Liebherr. Er hatte sich nach vorn gebeugt und starrte sprachlos wie die anderen. Zuvor hatten sie noch mit den Patienten gesprochen, nun sahen sie den Beweis. Es verhielt sich tatsächlich, wie Liebherr gesagt hatte: Unter der Hypnose-Therapie hatten sich bei zwei der Krebskranken die Herdschatten um die Hälfte zurückgebildet, bei den beiden anderen waren sie völlig verschwunden. Das einzige, was blieb, war die zarte, fast nicht erkennbare Struktur von Vernarbungen.
    Liebherr hatte die Methode des US-Hypnose-Therapeuten Beards verfeinert und ausgebaut. Sie bestand darin, daß die Patienten in Hypnose ein wahres Schlachtgetümmel erlebten. Sie wurden in Tiefentrance dazu angeleitet, sich mit aller Gefühlsintensität, zu der sie fähig waren, mit allem Zorn und der ganzen Verzweiflung des Überlebenswillens auf den ›Feind‹, den Eindringling zu konzentrieren und sich dabei vorzustellen, wie ihr Immunsystem zur Attacke überging, wie es seine Imuno -Soldaten, die weißen Blutkörperchen, gegen die heimtückischen Killer aussandte, damit sie sie verschlangen.
    Und die Soldaten taten das auch brav: Sie verschlangen. So verrückt es klingen mochte, es funktionierte. Hier hatte Stefan den Beweis – und sein Saulus-Paulus-Erlebnis.
    Und dennoch, in all den Jahren, die folgten, bei all den faszinierenden, ihm selbst wundersam erscheinenden Erfolgen, die Stefan Bergmann mit der Hypnose-Therapie erzielte, an die Krebsbekämpfung hatte er sich nie herangewagt. Vielleicht daß das schulmedizinische Denken, das ihm über ein Jahrzehnt eingetrichtert worden war, zu lebendig geblieben war, vielleicht daß diese andere Person in ihm, der auf strikte Beweisführung pochende Wissenschaftler, warnend den Zeigefinger hob. Vielleicht auch, weil er sich vor der Verzweiflung, vor dem Absturz in die Hoffnungslosigkeit fürchtete, die ein Versagen bei dem Kranken auslösen mußte. Vielleicht daß er schlicht zu ängstlich, zu feige war?
    Bei der Therapie müssen Sie Ihr Ziel mit allem Gewicht und aller Eindringlichkeit verfolgen, zu der Sie nur fähig sind. Erfahrungen oder medizinisches Können sind nichts als handwerkliche Voraussetzungen. Entscheidend ist und bleibt Ihre Persönlichkeit, Ihr Charisma. Denken Sie daran: Sie brechen in die Welt eines anderen Menschen ein, in seine Persönlichkeit. Mehr noch: Sie besetzen seine Phantasie. Was bedeutet das? Doch nur das eine: Sie müssen sich entschließen, ein anderer zu sein, die Reaktionen des Patienten, ja, sein Schicksal nachzuvollziehen. Und dabei hilft Ihnen nur eines: Ihr Einfühlungsvermögen, ihre Intuition.
    Es war die Basis der Hypnose-Therapie, die Liebherr damals aufgezeigt hatte.
    Er nannte sie ›die Gnade des Talents‹.
    Wieder trieb eine heftige Böe Gischt über die Brücke. Bergmann steckte die Hände in die Taschen, kramte darin herum wie zu den Zeiten, als er noch rauchte, fand nichts als den Wagenschlüssel. Er ging ein paar Schritte weiter und blickte zur Mühlbachstraße. Das Haus konnte er nicht sehen, nur den Schuppen, der ganz vorn am Wasser stand. Stefan nickte ihm zu und rannte zu seinem Auto.
    Er fuhr über die Brücke zurück und langsam am Kinderspielplatz vorbei. Aber da waren keine Kinder; es gab nur die beiden alten Blechrutschen, und wie immer rosteten sie friedlich und feucht vor sich hin. Und es gab zwei alte Frauen, die in ihren dunklen Regenmänteln auf einer feuchten Bank saßen und ihren Dackeln zusahen, wie sie die halbverhungerten Ulmen beschnupperten. Die Ulmen hatten in all den Jahren noch nicht einmal einen Meter Höhe geschafft, und die alten Frauen sahen aus, als säßen sie dort seit dem Bombenkrieg unter einem grauen Himmel, im Regen und Wind oder was das Wetter sonst noch so bringen mochte.
    Am alten Postamt bog Stefan Bergmann scharf nach rechts ab.
    Das alte Postamt war kein Postamt mehr. Die Tür war zugemauert. Und dann war er in der Mühlbachstraße und parkte vor der Hausnummer 24.
    »Hallo«, sagte eine Stimme.
    Er stieg aus. Zwei blaue Augen musterten ihn unter dem Schild einer
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