Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Hundeknochen

Der Hundeknochen

Titel: Der Hundeknochen
Autoren: Niklaus Schmid
Vom Netzwerk:
ganz Schlauen, brachtest Bonbons mit, die du in die Luft warfst, damit wir Jungs aus der Werksiedlung danach grabschten und uns gegenseitig die Nasen blutig hauten. Nun, jeder spielt eben seine Stärken aus. Du hattest immer Taschengeld, wir mußten uns bei den Bauern in Serm ein paar Mark verdienen. An dem Tag, als mein Vater zwischen die Puffer von Waggons der Werkbahn geriet, kamst du mit einem neuen Fahrrad in die Schule. Willst mal damit fahren? hast du gefragt. Du wohntest zwar nur wenige Straßen weiter, in der sogenannten Beamtenkolonie, aber das war schon eine andere Welt. Na ja, mal sehen, wie du demnächst im Knast zurechtkommst.«
    Während ich sprach, bogen wir um den Molenkopf. Das ablaufende Wasser schwappte gegen den Bug, eine Möwe schrie über uns, und plötzlich stand Salm neben mir und rammte mir seinen Ellbogen in die Seite. Ich stolperte. Die Oberkante der Plicht war im Weg, und schon befand ich mich außerhalb des Steuerstands. Salm griff nach meinen Beinen, um mich über Bord zu werfen. Zum Glück war da noch die Reling. Von den gespannten Drahtseilen schnellte ich zurück. Diesen zusätzlichen Schwung und all meine Wut legte ich in einen Schlag, der auf seine linke Gesichtshälfte zielte. Ich traf nicht voll, aber immer noch gut genug, was auf einem schwankenden Schiff gar nicht so leicht ist. Irgend etwas gab nach, entweder sein Nasenbein oder mein Mittelhandknochen.
    Salm sackte zusammen, ich griff nach dem Steuerrad und brachte das Boot noch so eben an einem Fels vorbei.
    Dann lenkte ich die Jacht zum zweitenmal um den Molenkopf. Die Minuten vergingen. Wieder schrie eine Möwe, wieder schwappte die ablaufende Dünung übers Deck.
    Ich leitete das Anlegemanöver ein und sagte: »Es hätte dir nichts genützt, mich zu beseitigen und das Bildmaterial zu vernichten. Kopien davon liegen an einem sicheren Ort. Und sollten mir mal Leute mit Kampfhund oder Pistole zu nahe kommen, landen die Aufnahmen bei der richtigen Stelle.«
    Danach fiel zwischen uns kein Wort mehr.
    Ich warf Judith die Festmacherleine zu. Nachdem sie die Schlaufe um den Poller geschlungen hatte, belegte ich die achterliche Klampe und sprang an Land. Als ich mich umdrehte, hatte Salm den Tampen schon wieder gelöst und erneut den Hilfsmotor auf Touren gebracht.
    »War das dein Freund?« fragte Judith.
    »Sagen wir’s mal so: Es gibt da zwei Männer, die als zwölfjährige Jungen befreundet waren. Dazwischen liegen nicht nur viele Jahre, es kamen eine Menge Mißverständnisse hinzu und zwei, drei ausgebuffte Tricks auf beiden Seiten sowie Anstiftungen zu Körperverletzungen oder gar Mord, bei denen ich die passive Rolle gespielt habe – kurzum, da war noch eine Rechnung offen.«
    »Und?« Sie kniff mir ein Auge und machte mit Daumen und Zeigefinger eine reibende Bewegung, was für meinen Geschmack bei einem jungen Mädchen rüde wirkt, normalerweise. Bei ihr fand ich fast alles niedlich.
    Ich legte einen Arm um ihre Schulter und klopfte mit der flachen Hand auf die Innentasche der Öljacke. »Für ein gutes Abendessen langt es.«
    »Mehr nicht?«
    »Was würdest du denn mit mehr anfangen?«
    »Och, ich möchte mal Schneeleoparden in der freien Natur sehen.«
    Am Ende der Kaimauer drehte ich mich noch einmal um. Das Toplicht schwankte, die Segeljacht zog ein silbriges V in das schwarze Wasser. Sie lief auf Kurs Südwest, Richtung Festland oder Gibraltar. Gut möglich, daß Salm die Flucht gelang. Mir war es so egal wie nur irgendwas. Ich würde ihm nicht die Polizei hinterher schicken.
    Ein Polizeiwagen mit Blaulicht näherte sich, verschwand zwischen den Hafengebäuden und hielt dann an der Mole.
    »Hast du die gerufen?« fragte ich Judith.
    »Nicht direkt. Ich habe nur die Nummer in Duisburg angerufen, die du mir gegeben hast, nach genau drei Stunden; so, wie du es mir gesagt hattest.«
    Die Anwesenheit der Polizei im Hafen konnte ein Zeichen dafür sein, daß Kurt Heisterkamp schnell und mit nötigem Druck gehandelt hatte. Es konnte aber auch sein, daß die Beamten wegen einer ganz anderen Sache unterwegs waren.
    Wir umarmten uns noch kräftiger und ließen den Polizeiwagen links liegen. Mit zweihunderttausend und einer Sig Sauer in der Tasche sollte man besser keinen Polizisten ansprechen.
    Schwierigkeiten würden ohnehin noch auf mich zukommen, mit meinem Freund Kurt, mit den Landesbullen, mit meiner Gewerbeerlaubnis und womöglich auch mit der Versicherung. Aber zweihundert Mille kriegt man eben nicht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher