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Der Hirte, Teil 4 (Der Hirte - eine mittelalterliche Weihnachtsgeschichte) (German Edition)

Der Hirte, Teil 4 (Der Hirte - eine mittelalterliche Weihnachtsgeschichte) (German Edition)

Titel: Der Hirte, Teil 4 (Der Hirte - eine mittelalterliche Weihnachtsgeschichte) (German Edition)
Autoren: Richard Dübell
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etwas zu sagen, aber sie schnitt ihm das Wort ab.
    „Du hast richtig gehandelt vorhin“, sagte sie. „Wenn du versucht hättest, mir zu helfen, wären wir alle verloren gewesen. Es gab nur eine vernünftige Wahl. Du hast wie ein Mann gehandelt, nicht wie ein Feigling.“
    Rainald sah sie an. Sein Mund arbeitete.
    „Was hast du danach getan?“, fragte sie.
    „Ich habe sie beerdigt und …“
    „Das war nur eine Gebärde. Was hast du danach getan ?“
    „Ich verstehe nicht.“
    „Hast du danach wieder den Mut gefasst, dem Leben zu vertrauen?“
    Rainalds Blick wurde starr. In seinem Inneren schwang eine Saite, die zu schmerzhaft war, als dass er hätte erlauben können, weiter zu schwingen.
    „Papa …“, begann Johannes mit piepsiger Stimme. Rainald hob die Hand. Der Junge verstummte.
    „Gehen wir weiter“, sagte er. Seine Stimme klang in seinen eigenen Worten wie Asche.
    „Wohin? Gehen wir endlich nach Trier?“, fragte Schwester Venia.
    Rainald antwortete nicht. Er nahm Blanka auf den Arm, verstaute die beiden Puppen hinter seinem eigenen Gürtel und stapfte davon.

    Johannes sah seinem Vater und der Klosterschwester nach. Schließlich ließ er das Hinterbein des toten Wolfs sinken, bückte sich nach dem Schwert, dem sein Vater keinerlei Beachtung mehr geschenkt hatte, wuchtete es keuchend auf seine Schulter, und torkelte den anderen hinterher.

***

    Die Wölfe hatten sie überwacht, seit das Packpferd gefallen war. Rainald hatte es geahnt, auch wenn die Wölfe sie es nur sporadisch hatten merken lassen. Nun änderte das Rudel seine Taktik. Sie hatten ihre Beute zweimal gestellt, und zweimal hatte sich die Beute seiner Haut erwehrt. Ein drittes Mal würden sie es nicht mehr angreifen, solange sie noch in der Verfassung war, Widerstand zu leisten. Sie würden sie einfach zu Tode hetzen.
    Rainald wusste dies, und er wusste, dass er einfach in ganz gemächlichem Tempo hätte weitergehen können, und die Wölfe hätten nicht noch einmal attackiert. Trotzdem wurde er immer schneller und schneller, bis er fast in einen Laufschritt fiel, bei dem Schwester Venia und Johannes nur keuchend mithalten konnten. Vermutlich wäre auch ein anderer Mann nicht in der Lage gewesen, sich anders zu verhalten, wenn er gesehen hätte, wie die Schatten überall um ihn herum eine graue, geduckte Form annahmen, bevor sie wieder mit dem Hintergrund eins wurden.
    Das Interessante dabei war, dachte er mit dem kleinen Teil seines Hirns, der noch vernünftig denken konnte, dass er vor dem einen Tod nur davonrannte, damit er umso schneller zu dem anderen gelangte.

***

    Rainald erinnerte sich an seine hilflose Wut, als die Bauern fortzugehen begonnen hatten. Die Bauern waren immer die ersten, die gingen. Sie waren darauf angewiesen, dass ein starker Grundherr sie verteidigte, während sie seine Scholle bearbeiteten. Gesunde Erde gab es auch anderswo; wenn der Arm des Herrn nicht mehr gesund war, war es Zeit, nach ihr zu suchen.
    Die Waffenknechte waren die letzten, wie es in der Natur ihres Dienstes lag. Ihre Zukunft war ungleich unvorhersehbarer wie die der Bauern. Für einen Landpächter war immer irgendwo Platz, und wenn die anderen zusammenrücken mussten – jeder Grundherr trachtete danach, seinen Wohlstand zu vermehren. Burgknechte jedoch … es bedurfte einer gut aufeinander eingespielten Mannschaft, selbst wenn es nur ein halbes Dutzend war, um eine Burg im Ernstfall erfolgreich verteidigen zu können. Neue Mitglieder waren in der Regel unzuverlässig und konnten auch eine Fünfte Kolonne sein. Dennoch – irgendwann waren auch die Waffenknechte gegangen. Es lohnte sich nicht, ein verlassenes Dorf, eine ruinierte Burg und eine Familie zu verteidigen, die aus einem unkontrollierten Zornesausbrüchen oder tagelanger Melancholie verfallenden Burgherrn und zwei Kindern bestand, die vor Trauer und Hilflosigkeit fast stumm geworden waren.
    Nachdem die Waffenknechte auch gegangen waren, kam die Wut; dann die Verzweiflung; dann der erste Tag, an dem es nichts zu essen gab.
    Der Steinbau, in dem Rainald und die Kinder hausten, war äußerlich unversehrt; innen war noch immer das Zerstörungswerk der Angreifer zu sehen. Rainald hatte irgendwann begonnen, Pfade durch das Trümmerfeld des Saals freizulegen, damit man sich ungehindert bewegen konnte; sie und die Stelle, an der Sophia gelegen war, waren die einzigen Flächen, auf denen sich nicht die Reste von Rainalds vorherigem Leben häuften. Draußen, in der Vorburg und im Dorf,
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